6. Hugo Grotius


Dagegen tritt aus dem Rahmen enger Konfessionspolitik mehr heraus der in Italien geborene, aber wegen seines Protestantismus nach England ausgewanderte Naturrechtslehrer Albericus Gentilis (1551-1611), der mit seinem Hauptwerk De iure belli (1588/89) ein Vorläufer des Niederländers Hugo Grotius ist.

Hugo de Groot, geboren 1583 zu Delft, schon mit sechzehn Jahren Doktor der Rechte und früh zu hohen Vertrauensstellungen in seinem Vaterlande gelangt, dann aber in den Sturz der republikanischen Partei durch die oranische verwickelt und nur durch die List seines treuen Weibes lebenslänglicher Gefangenschaft entgangen, wurde 1635 in Paris schwedischer Gesandter und starb 1645 auf einer Reise nach Schweden in Rostock. Er fällt zwar der Zeit nach nicht mehr streng in den Rahmen der Renaissance, wohl aber der Sache nach, indem auch er auf das Echt-Menschliche und Natürliche zurückgeht. Ist er auch nicht der erste Urheber des Naturrechts gewesen, für den man ihn früher hielt, folgt er auch vielfach den Spuren der Stoa, der römischen Jurisprudenz und selbst des h. Thomas, so hat er es doch in seinem berühmten Werke De iure belli ac pacis (1625) zuerst tiefer und eingehender begründet und zugleich mit dem Völkerrecht verbunden, als dessen Begründer er anzusehen ist. (Übersetzt ist das umfangreiche Werk von Kirchmann in der Philos. Bibliothek, Bd. 31 und 32.)

Freilich geschieht die Verselbständigung der Rechtswissenschaft noch in der Weise, dass neben dem menschlichen, auf die Vernunft gegründeten noch ein »göttliches«, auf die Offenbarung gegründetes Recht unterschieden wird, allein beide Sphären werden doch streng voneinander gesondert. Das Naturrecht kann selbst von Gott, der als Schöpfer der menschlichen Natur auch sein letzter Urheber ist, nicht abgeändert werden, so wenig wie der Satz, dass 2 x 2 = 4 ist; es wäre gültig, auch wenn kein Gott existierte. Es entspringt lediglich aus den »inneren Prinzipien« des Menschen, aus dessen ursprünglichem natürlichen Geselligkeitstriebe (appetitus societatis); denn Gemeinschaftsleben ist dessen Bestimmung. Es besteht in dem, was die Vernunft als mit der Natur des Menschen übereinstimmend oder daraus folgend erkennt. Alles Recht beruht auf der Voraussetzung, dass Verträge und Versprechungen dazu da sind, gehalten zu werden, und diese Voraussetzung wieder auf einem, wenn auch nur stillschweigenden, ursprünglichen Vertrage. Der Staat ist durch den Willen der einzelnen entstanden, das Recht des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft kann daher nie verschwinden, wie denn überhaupt die ganze Rechtsordnung bei Grotius wesentlich dem Schutze der individuellen Interessen dient. Auch Grotius lehrt die ursprüngliche Souveränität des Volkes, doch mit der Beschränkung, dass das letztere sie auf immer einem einzigen Fürsten oder Stande übertragen könne!

Die Grundlagen des Völkerrechts (ius gentium) entsprangen ihm aus der Frage: Wann ist ein Krieg gerecht, und wie ist er zu führen? Der Krieg zwischen einzelnen Personen ist auf Notwehr zu beschränken, der des Einzelnen gegen den Staat als Aufruhr zu unterdrücken; der des Staates gegen einzelne, nämlich die Strafe, ist gerecht und nützlich, wenn sie angewandt wird, nicht quia peccatum est, sed ne peccetur; der Krieg zwischen Staaten endlich ist nach den Grundsätzen der Humanität zu führen. Gerecht ist er nur, wenn offenbares göttliches oder natürliches Recht verletzt worden ist. Treue und Redlichkeit sind die beste Politik. Grotius' Ausführungen haben mächtigen Eindruck auf seine Zeit gemacht und lange Zeit die gesamte Rechtsphilosophie beherrscht.

Grotius war auf vielen Gebieten zu Hause. Er verteidigte als scharfsinniger Rechtsgelehrter die Handelsfreiheit im Interesse seines Vaterlandes in der Schrift De mari libero, 1609, gegen England. Er war ein gelehrter Philosoph, aber auch ein trefflicher Humanist (Verfasser lateinischer Gedichte und zweier religiöser Dramen), Geschichtskenner und -schreiber, ja sogar - Theologe. Er schrieb u. a. eine ausführliche Exegese zum Alten und Neuen Testament und eine in zahlreiche fremde Sprachen übersetzte Verteidigung des Christentums (De veritata religionis Christianae, Leyden 1622). Als von selbst einleuchtende und notwendige Religionswahrheiten erscheinen ihm das Dasein Gottes und die Vorsehung. Wer diese leugnet, muß unterdrückt werden. Im übrigen will Grotius, seiner niederländischen Abstammung getreu, duldsam verfahren und kein Volk wegen seines abweichenden Glaubens bekriegt wissen, selbst ein heidnisches nicht, denn der Glaube an historische und übernatürliche Wahrheiten kann niemand aufgedrängt werden


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