2. Boyle
Durch Gassendi angeregt war auch der Engländer Robert Boyle (1627-1691), der in seinem Sceptical Chemist (1661) die Chemie als Erkenntnis der stofflichen Zusammensetzung der Körper begründete und in seinem Traktat De ipsa natura (1682), obwohl persönlich gläubig, ja zur religiösen Grübelei neigend, gegen die übliche Personifizierung der Natur auftrat. Die Natur ist weder eine geheime Grundkraft noch eine Art geistiger Macht, überhaupt kein Ding, sondern »das System der Regeln, denen gemäß die tätigen Kräfte und die Körper, auf welche sie wirken, von dem großen Urheber der Dinge zum Handeln und Leiden bestimmt werden«. Zwar hat Gott die Welt und die Atombewegung geschaffen und kann in den Lauf der Natur eingreifen, aber nachdem sie einmal geschaffen, soll der Mensch sie wie ein regelmäßig funktionierendes Uhrwerk, einen »kosmischen Mechanismus« betrachten. Den geheimnisvollen »Kräften« der Mystik und der Naturphilosophie eines Paracelsus u. a. ist damit ebenso ein Ende bereitet, wie den »substantiellen Formen« des Aristoteles und der Scholastik. Auch Descartes' »feine Metaphysik« lehnt der englische Empiriker ab; er will lieber Experimente und Fragen als kühne Behauptungen und Lehrmeinungen vorbringen.
Boyles philosophische Haupttat neben der ersten Grundlegung einer wissenschaftlichen Chemie, die nicht zur Herstellung, von Lebenselixieren, sondern zur Erkenntnis von Tatsachen betrieben werden soll, ist die Aufstellung seiner »Korpuskularphilosophie«. Nach dieser gibt es nur eine einzige allen Körpern gemeinsame Materie, mit den Eigenschaften einer ausgedehnten und undurchdringlichen, aber teilbaren Substanz. Durch die ihr von Gott anerschaffene Bewegung entstehen kleine und kleinste Körperchen (corpuscula) von bestimmter Größe, Gestalt und Lage, die zu zusammengesetzten sekundären Körpern (Molekülen) sich mischen oder zusammentreten können. Farbe und Geschmack dagegen und andere »sekundäre Qualitäten«. - Boyle wendet zuerst den Ausdruck in diesem Sinne an, wie er denn überhaupt in der Geschichte der philosophischen Terminologie (Eucken S. 94) bedeutsam ist - sind nur in unserer Sinnesempfindung begründet. Boyle aber will keine Psychologie treiben, sondern sich mit der Welt nur befassen, wie sie »am Abend des vorletzten Schöpfungstages« gewesen sei.
Diese allgemeinen Prinzipien werden dann in reicher Mannigfaltigkeit auf die spezielle Chemie, Physik und Medizin angewandt. Boyle hat uns, anstatt der vier Elemente des Aristoteles und der drei »Prinzipien« der Alchimisten, den modernen Begriff des Elementes als des keiner weiteren Zerlegung fähigen Stoffes gebracht. Seine Einzeluntersuchungen über die mechanische Natur von Wärme, Magnetismus und Elektrizität, über die Oxydationsprozesse der Metalle, die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre gehören in eine Geschichte der Naturwissenschaften. Gegenüber der damals üblichen Ansicht in der Medizin bewies er, nicht von deren besonderen »Kräften«, sondern von ihrem jeweiligen Zusammenwirken mit dem betreffenden Organismus abhänge.
Zu Boyles Zeit herrschte - ein Rückschlag gegen die einseitige Religiosität der Puritaner - in England reges wissenschaftliches Leben, gerade mit Bezug auf die Naturwissenschaften. Auch Boyle, ein Mann von vornehmer Abstammung, opferte sein ganzes Vermögen der Wissenschaft. Er stiftete u. a. eine gelehrte Gesellschaft, welche seine Korpuskulartheorie verbreiten und - von dem Vorwurf des Atheismus reinigen sollte. Ein Verehrer Boyles, zugleich auch Bacos und Descartes', war Joseph Glanvill (1636-1680), der in seiner Scepsis scientifica kräftig zugunsten der Erfahrungswissenschaft gegen die alte Schulphilosophie zu Felde zog. Freilich bewahrte ihn seine »wissenschaftliche Skepsis«, die ihn u. a. auch schon das Kausalitätsgesetz im Sinne Humes bestreiten läßt, nicht davor, in einer (nach seinem Tode erschienenen) Schrift den Hexenglauben zu verteidigen.