[Entschlußunfähigkeit]
Die Antithese zwischen Herrschermacht und Herrschvermögen hat für das Trauerspiel zu einem eigenen, nur scheinbar genrehaften Zug geführt, dessen Beleuchtung einzig auf dem Grunde der Lehre von der Souveränität sich abhebt. Das ist die Entschlußunfähigkeit des Tyrannen. Der Fürst, bei dem die Entscheidung über den Ausnahmezustand ruht, erweist in der erstbesten Situation, daß ein Entschluß ihm fast unmöglich ist. So wie die Malerei der Manieristen Komposition in ruhiger Belichtung garnicht kennt, so stehen die theatralischen Figuren der Epoche im grellen Scheine ihrer wechselnden Entschließung. In ihnen drängt sich nicht sowohl die Souveränität auf, welche die stoischen Redensarten zur Schau stellen, als die jähe Willkür eines jederzeit umschlagenden Affektsturms, in dem zumal Lohensteins Gestalten wie zerrißne, flatternde Fahnen sich bäumen. Auch sind sie Grecoschen in der Kleinheit des Kopfes,1 wenn diesen Ausdruck bildlich zu verstehen gestattet ist, nicht unähnlich. Denn nicht Gedanken, sondern schwankende physische Impulse bestimmen sie. Es paßt zu solcher Art »daß die Dichtung der Zeit, auch die zwanglose Epik, selbst flüchtigste Gebärden vielfach glücklich auffängt, während sie dem menschlichen Antlitz gegenüber hilflos bleibt«2. — An Sophonisbe sendet Masinissa, durch den Disalces, einen Boten, Gift, das sie der römischen Gefangenschaft entziehen soll: »Disalces, geh/ und wirf mir mehr kein Wort nicht ein. | Jedoch/ halt! Ich vergeh/ ich zitter/ ich erstarret | Geh immer! es ist nicht mehr Zeit zu zweifeln. Harre! | Verzieh! Ach! schaue/ wie mir Aug und Hertze bricht! | Fort! immer fort! der Schluß ist mehr zu ändern nicht.«3 An der entsprechenden Stelle der »Catharina‹ fertigt Chach Abas den Iman Kuli mit dem Befehl zur Hinrichtung der Katharina ab und schließt: »Lass dich nicht eher schauen | Als nach volbrachtem werck! Ach was beklämmt vor grauen | Die abgekränekte brüst! Verzeuch! geh hin! ach nein! | Halt inn! komm her! ja geh! es muss doch endlich seyn.«4 Auch in der wiener Posse jenes Komplement der blutigen Tyrannei, der Wankelmut: »Pelifonte. Nu! so lebe sie dann, sie lebe, — doch nein, — — ia, ia, sie lebe ... Nein, nein, sie sterbe, sie vergehe, man entseele sie ... Gehe dann, sie soll leben«5. So, kurz unterbrochen von anderen, der Tyrann.
- Cf. Hausenstein l.c. (S. 44). S. 94.↩
- Cysarz l.c. (S. 39). S. 31.↩
- Daniel Casper von Lohenstein: Afrikanische Trauerspiele. Cleopatra, Sophonisbe. Hrsg. von Klaus Günther Just. Stuttgart 1957. (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart. 294.) S. 327 (Sophonisbe IV, 505 ff.).↩
- Gryphius l.c. [S. 53]. S. 213 (Catharina von Georgien III, 457 ff.). — Cf. Hallmann: Trauer-, Freuden- und Schäferspiele l.c. [S. 58]. ›Mariamne‹ S.86(V, 351).↩
- (Josef Anton Stranitzky:) Wiener Haupt- und Staatsaktionen. Eingeleitet und hrsg. von Rudolf Payer von Thurn. Bd 1. Wien 1908. (Schriften des Literarischen Vereins in Wien. 10.) S. 301 (Die Gestürzte Tyrannay in der Person deß Messinischen Wüttrichs Peli fonte II, 8).↩