Paul Scheerbart: Lesabéndio
Der Roman Lesabéndio ist die Frucht eines geistigen Lebens von großer Reinheit und Besinnung und das Bewußtsein der Gebundenheit an irgend welche Elemente des »Wirklichen« und des »Außen« hat ihm jene Reinheit gewonnen, die wir Stil nennen. Dieses Buch ist besonnen aus Ehrfurcht und unscheinbar aus Fülle. Es ist nicht universal, nicht auf sich gestellt, nicht erschöpfend: aber es ist überall erfüllt vom Geiste der Empfängnis und der Idee. Es ist durch die Erfüllung eines strengen Gesetzes ausgezeichnet, und für seinen Wert wie für seine Begrenzung ist es entscheidend, daß dies ein Gesetz mehr der mythischen Formen als der Kunst ist. Das Gesetz heißt: Die wahre Deutung erfaßt die äußerste Oberfläche der Dinge, ihre reinste Sinnlichkeit; Deutung ist Überwindung des Sinnes. Nach dieser Weise hat Scheerbart das Dasein eines Asteroiden entworfen und das Leben auf ihm. Es blieben alle Verhältnisse fort, die zu wirrer Innerlichkeit, zu Ausdeutung und Erklärung verführen könnten; daß er in dem so gestellten Rahmen strenger Sachlichkeit das Buch schreiben konnte, ist ein Zeugnis seines Geistes. Die Menschen auf diesem Sterne haben kein Geschlecht (richtiger: es ist davon nicht die Rede und es wird also wohl unbekannt sein), die neuen Pallasianer werden in Nußschalen eingeschlossen in den Tiefen des Pallas gefunden. Ihre Geburt ist Zertrümmerung dieser Schalen. Nach den ersten Worten, die sie im Anblick des Lichtes lallen, werden sie genannt: Biba und Bombimba, Labu, Sofanti, Peka und Manesi und die andern. Der Pallas ist klein, nur ein paar hunderttausend Menschen leben in seinen bei den Trichtern. Der Pallas ist nämlich ein Tonnenstern, seine bei den Schmalseiten sind ausgehöhlt zu Trichtern, dem Nord- und Südtrichter, die durch ein Loch in der Mitte in einander übergehen. Man arbeitet künstlerisch auf dem Pallas: doch gibt es nur große architektonische Künste, gliedernde, bauende, schmückende, deren Gegenstand immer der Stern Pallas selbst ist. An seiner Ausgestaltung wird gearbeitet. Bis auf Lesabéndio suchte man ihn mannigfach auszugestalten, krystallinisch zu bearbeiten oder in runden Formen sein Gestein zu schleifen; verschiedene Künstler arbeiten an ihren Ideen in den großen Ateliers in den Höhlen der Trichter. Lesabéndio gerät aber auf den Gedanken, einen Turm auf dem Nordrand des Pallas zu erbauen; er setzt den Bau durch und immer deutlicher wird es erst dem Biba; dann dem Lesabéndio selbst, und viel später auch den andern Pallasianern, wozu der Turm dient. Er dient der Vereinigung von Kopf- und Rumpfsystem des Asteroiden Pallas, der Wiederbelebung des Sterns durch die Auflösung Lesabéndios in dem vereinten Doppelgestirn. Denn während bisher die Pallasianer schmerzlos sich in einem gesunden und lebenden Bruder auflösten, wenn ihr Körper ermattete (ein besondrer, nicht-menschlicher Körper natürlich), ist es Lesabéndio, der als erster den Schmerz auf den Pallas führt und ihn als erster erleidet. So wie der wachsende Turm von Tag zu Tag die Gestirnverhältnisse ändert, so verwandelt Lesabéndios Auflösung im Kopfgestirn mehr und mehr den frühern Rhythmus des Pallaslebens. Der Stern erwacht zur Vereinigung mit andern Gestirnen, die mit ihm den großen Asteroidenring um die Sonne zu bilden ersehnen und die Pallasianer erwachen zum Schmerz und zur Seligkeit der Auflösung im Größern.
Die strenge Fügung des erzählenden Aufbaues, die nichts als die Erbauung des Turmes ins Auge faßt, hat die Vollendung des Entwurfes ermöglicht. Dabei hat die geistige Überwindung des Technischen ihren Gipfel erreicht, da die Nüchternheit und Sprödigkeit des technischen Vorgangs zum Symbol einer wirklichen Idee geworden ist. Die Arbeit der Technik ist der deutlichste Ausdruck jener keuschen und strengen Deutung der Geschehnisse, die an ihre äußerste, reinste Oberfläche angeschlossen ist. Die Verflechtungen der Liebe, die Probleme der Wissenschaft und der Kunst, ja die Perspektive des Sittlichen ist gänzlich ausgeschaltet, um den reinsten unzweideutigsten Erscheinungen der Technik das utopische Bild einer geistigen Gestirnwelt entfalten zu können. In diesem Sinne ist jede Erschließung und Beschreibung des Sterninnern ein Schritt, der von der eigentlichen Aufgabe abführt und die gesetzten Grenzen überschreitet. Die Kunst ist nicht das Forum der Utopien. Wenn es trotzdem scheint, als könne von ihr aus das entscheidende Wort über dies Buch gesprochen werden, weil es voll Humor sei, so ist es doch dieser Humor, der umso sicherer die Region der Kunst übersteigt, und das Werk zu einem geistigen Zeugnis macht. Dessen Bestand ist nicht ewig und nicht in sich allein gegründet, aber das Zeugnis wird in dem Größeren, von dem es zeugt, aufgehoben sein. Von dem Größeren – der Erfüllung der Utopie – kann man nicht sprechen – nur zeugen.