Shakespeare: Wie es euch gefällt
Shakespeare, der zur Zeit der Renaissance lebte, war ein romantischer Dichter. Eine der größten Eroberungen der Renaissance im Geistesleben war die Entdeckung des Unendlichen. In der Philosophie hat Nicolaus von Cusa sie gemacht, in der bildenden Kunst ist sie mehr oder minder entscheidend und in verschiedenen Formen bei den großen Malern, jedenfalls bei Leonardo und Michelangelo zu finden, in der Poesie erobert sie Shakespeare. Die Unendlichkeit hat einen sehr verschiedenen Sinn und nicht jede Unendlichkeit ist romantisch. Die Shakespeares aber ist es: es ist die im engeren Sinne poetische. Sie ist in ihrer reinsten Erscheinung in seinen Komödien enthalten. Die Unendlichkeit der Romantik hat keinen Träger, die Romantiker kennen nichts Unendliches, sondern nur das Unendliche selbst. Das Unendliche ist das Universum, es ist das Wesen aller Dinge. Auf dieser romantischen Idee des Unendlichen beruht ein Typus der Dichtung, der wenig beachtet wird und auf Grund dessen allein das Verständnis für die deutschen Romantiker, vor allem auch das Shakespeares erst gewonnen werden kann. Denn der größte Romantiker ist Shakespeare, wenn er auch nicht allein das ist. Wo die Unendlichkeit das wahre Wesen der Welt ausmacht, ist nicht die Gestalt die Aufgabe der Dichtung, die doch gewöhnlich allein dafür gehalten wird. Der Gestalt entspricht die Schau. Der Romantiker ist nicht der schauende Dichter, und auch Shakespeare war es, jedenfalls in seinen Komödien, nicht. Die Dichtkunst der Romantik ist die Bewegung der Auflösung aller Erscheinungen ins Unendliche, in das absolut Freie und Religiöse; gerade in dieser Hinsicht läßt sich die Größe Shakespeares tausendfach verschieden erfassen und variiert erkennen. Er hat von allen romantischen Dichtern die größte Freiheit und daher auch den größten Umfang ermessen. Seine Komödien sind die Auflösung des Kosmos in die Unendlichkeit. Er ist der Sinnlichste und der Unmittelbarste. Er von Allen ist der Einzige, dem kein Rest in diesem ungeheuren Auflösungsprozesse bleibt. Er ist unvergleichlich weltlich wie keiner. Wenn Naivität innerhalb der romantischen Poesie zu erreichen möglich ist, so hat er sie erreicht, weil bei ihm alles auf die Einsamkeit hinausläuft Er hat nichts mehr festgehalten und er ist der größte Träumer geworden. Er hat es erreicht, ohne Sehnsucht zu sein, und das ist der Grund der Naivität, es ist auch der Grund seiner tiefsten Komödien. Im Vergleich mit ihm war die deutsche Romantik schon positiv religiös, seine Weltlichkeit hat sie nicht mehr erreicht und keine mehr wird sie erreichen. »Wie es Euch gefällt« – denn für den Dichter ist das nur eine absolute geistige Träumerei, eine Auflösung, keine Gestalt. Er meint, daß man diesem Stücke zusehen solle wie einer Sommerwolke wenn sie im Blau sich auflöst und hinter deren symbolischen Gebilden allen die Auflösung ins Unendliche als Tiefstes und Anmutigstes zugleich steht – man muß dieses Stück mit dem »Sturm« zusammennehmen, von dem es sich gleichsam als ein Vorspiel betrachten läßt. Dort nämlich ist die Unendlichkeit dem Dasein schon nahe gekommen, daß dem Menschen der Atem ausgeht. Prospero legt den Zauberstab aus der Hand, der Sturm bläst nicht mehr wie es Euch gefällt, oder weil er es dieses eine Mal noch tat dürft Ihr nichts weiter hören. Shakespeares Schaffen stirbt an Unsterblichkeit. – Er ist der Dichter des bloßen Blicks aus bloßem Auge. So wie der geistig erhobene Blick auf das unendliche Blau des Himmels trifft und frei schweifend sich in ihm verliert, war der Blick Shakespeares. Er war kein Visionär. Engländer war und blieb er, nur der größte, dessen Blick so klar war, daß er die Nüchternheit verlor. Alle großen englischen Dichter haben seinen Blick, aber keiner mehr sein unbewaffnetes Auge, Sterne das Mikroskop und Swift: das Fernrohr.