Shaw: Frau Warrens Gewerbe
Alles Geld ist schmutzig, jedes kommt irgendwann einmal in ein Bordell, irgendwann einmal in eine Bleiweißfabrik und wieder heraus: die Schuld des Geldes ist eine Gestalt der ewigen Schuld, die die Personen tragen, das Fürchterliche ist, daß die Menschen des kapitalistischen Zeitalters sich nicht von ihr zu entsühnen wissen. In der Arbeit ist diese Entsühnung nicht zu finden, ebenso wie die des Tiermordes nicht in der vegetarischen Lebeweise. Denn im letzten Sinne kann die Schuld in irgend einer äußersten und umfassenden Gestalt nicht vermieden sondern nur entsühnt werden. Die Ausgeburt des wahnwitzigen Glaubens, die Verschuldung überhaupt vermeiden zu können, ist die falsche Askese, wahre Askese ist jede Reinigung und Entsühnung. Die Gegenwart hat die falsche negative Askese zur höchsten dünkelhaftesten Ausprägung unter den Namen der Hygiene gebracht. Ihre Technik ist, die Reinigung durch das Reinhalten zu ersetzen, und ihr Irrtum, eine in sich bestehende, nur der Bewahrung bedürftige Reinheit irgendwann und -wo vorauszusetzen. Sie hat sich über alle Gebiete ausgedehnt. Die Tochter der Frau Warren glaubt, sich durch strenge Arbeit, durch Verzicht auf Glück und Ehe vor der Berührung mit dem Gelde ihrer Mutter und allem, was dem ähnelt, bewahren zu können. Vielleicht glaubt sie auf diesem Wege sich nicht nur für die Zukunft zu bewahren, sondern auch für die Vergangenheit zu entsühnen. Aber dann bliebe ihre Reinigung so oberflächlich, wie ihr Schuldgefühl gerecht und wahr ist. Hier wird es nicht genügen, in ein freudloses Bureauzimmer der City zu ziehen, und es wird sogar nicht darauf ankommen. Die Innenwelt der Menschen (die mit ihrer Psychologie nicht verwechselt werden darf) ist in diesem braven Mädchen bis zum Nichts verkümmert.
Daran geht die einzige große Intuition zu Grunde, auf die Shaw offenbar das Stück aufbauen wollte: die Tochter verurteilt ihre Mutter nicht, weil sie die Nötigung begreift, aus der sie Bordellbesitzerin geworden ist. Diese Nötigung macht Frau War ren ihr folgendermaßen begreiflich: vor die Wahl gestellt, selbst ihre Arbeitskraft und ihre Schönheit, wenn auch nicht sexuell, durch Restaurateure bis zur Erschöpfung ausbeuten zu lassen, oder ihr Geld als ausgehaltene Frau von vielen Männern zu erwerben und ihre Gesundheit wie ihre Gestalt zu bewahren, hat sie das letztere gewählt. Denn das Leben bei der Geschöpfe ist gleich elend, an beiden vergeht sich die Gesellschaft ganz genau in gleicher Weise. Aber die Kokotte hat Möglichkeiten, ein besseres Leben sich zu erringen, sie kann sparen – und sie wird es tun, bis sie das Geld hat, mit ihrer Schwester, die schon diesen Weg zurückgelegt hat, sich zusammenzutun, und in einem Bordell ihr Geld anzulegen. Vom Standpunkt der Gesellschaft läßt sich der Satz wohl mit Gründen unterstüzen: daß die Arbeiterin der Bleiweißfabrik ein elenderes Leben führe als die Bordellbesitzerin, als die Dirne. Vom Standpunkt des Menschen spricht Shaw nicht, und er macht Vivie Warren zum Opfer leicht durchschaubarer Sophismen, wenn er ihrer Mutter Verzeihung von ihr widerfahren läßt. Das macht: wir erfahren fast nichts von Fau Warrens Gewerbe als dessen Namen. Die Unsumme von Schlechtigkeit und Gemeinheit, die mit diesem Beruf verbunden sein wird, fällt auf die Verantwortung des Menschen zurück, der ihn ausübt. Nicht anders die Dirne; mag sie sozial besser, freier, hygienischer bestehen als die Mädchen in der Fabrik (dies ist paradox, aber es kann wahr sein) – moralisch ist sie als Dirne schlecht, als Bordellbesitzerin verächtlich. – Oder: wollte Shaw dies sagen: sie ist nicht moralisch schlecht, eine Dirne, eine Bordellbesitzerin müssen nicht schlecht sein? Kein Mensch darf allein verurteilt werden auf Grund seines Ranges in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung; und jeder Beruf ist ein Rang in ihr, jeder ist zu reinigen, weil das Kapital nur der unreine verzerrte Geist und Leib von ewigen Mächten ist, die aus ihm allerorten hervorstrahlen. Er wollte dies sagen, wenigstens ist ein anderes Leben in seinem Stück nicht zu suchen. Nicht jede Dirne braucht schlecht zu sein, die Dirne ist nicht schlecht, wie kein Beruf. Aber Frau Warren ist ein schlechter Mensch und eine schlechte Dirne. Und wenn Shaw gar uns dieses Bild vom Ewigen, was unter dem Schutt des Kapitals in den Berufen schlummert, an dem Verachtetsten des heutigen Lebens zeigen wollte – an Frau Warrens Gewerbe konnte er es nicht. Wir wissen, daß die Bürgerin es elend treibt. Was aber wollte er sonst? Uns eine Tochter zeigen, die ihre Mutter verabscheut und mit Recht verläßt? Welcher Sinn sollte darin liegen?
Er hat sich die Finger verbrannt, aber sein Herz ist kalt geblieben. Einsicht in die Heuchelei des Bürgers und Wissen von dem, was er verleugnet, sind zweierlei. Wer das zweite nicht besitzt, hat die erste darzustellen kein Recht. Der Dichter ist aufrichtig und ein gentleman, wie seine junge Heidin, aber nur der Frechheit verdanken wir, was ihn über sie hinaushebt. Einer ganz irdischen, göttlicher mitnichten.