Stifter
I
Eine Täuschung über Stifter scheint mir höchst gefährlich weil sie in die Bahn falscher metaphysischer Grundüberzeugungen von dem einmündet, wessen der Mensch in seinem Verhältnis zur Welt bedarf. Es ist nicht zu bezweifeln daß Stifter ganz wundervolle Naturschilderungen gegeben hat und daß er auch von dem menschlichen Leben, wo es noch nicht als Schicksal entfaltet ruht, also von den Kindern wunderbar gesprochen hat, wie im »Bergkrystall«. Seinen ungeheuren Irrtum hat er aber selbst einmal ausgesprochen ohne ihn als solchen zu erkennen, in der Vorrede zu den »Bunten Steinen«, wo er über Größe und Kleinheit in der Welt schreibt und dieses Verhältnis als ein trügerisches und unwesentliches, ja relatives darzustellen sucht. Es geht ihm in der Tat der Sinn für die elementaren Beziehungen des Menschen zur Welt in ihrer gereinigten Rechtfertigtheit ab, mit andern Worten: der Sinn für Gerechtigkeit im höchsten Sinne dieses Wortes. In der Verfolgung dessen, wie er das Schicksal seiner Menschen in seinen verschiedenen Büchern entrollt, habe ich jedesmal, im »Abdias«, im »Turmalin«, in »Brigitta«, in einer Episode aus der »Mappe meines Urgroßvaters«, die Kehrseite, die Schatten- und Nachtseite jener Beschränkung auf die kleinen Verhältnisse des Lebens gefunden: indem er sich eben bei deren Aufzeichnung keineswegs bescheidet oder begnügen kann und nun bemüht ist jene Einfachheit auch in die großen Verhältnisse des Schicksals zu tragen, welche aber notwendigerweise eine ganz andersartige sowohl Einfachheit als Reinheit, nämlich die welche simultan ist mit der Größe oder besser mit der Gerechtigkeit, haben. Und da ergibt es sich daß bei Stifter sich gleichsam eine Rebellion und Verfinsterung der Natur ereignet welche ins höchste Grauenvolle, Dämonische umschlägt und so ihren Einzug in seine Frauengestalten (Brigitta, die Frau des Obristen) hält, wo sie als eine geradezu pervers und raffiniert verborgene Dämonie das unschuldige Aussehen der Einfachheit trägt. Stifter kennt die Natur, aber was er höchst unsicher kennt und mit schwächlicher Hand zeichnet ist die Grenze zwischen Natur und Schicksal, wie es sich zum Beispiel geradezu peinlich im Schluß des »Abdias« findet. Diese Sicherheit kann nur die höchste innere Gerechtigkeit geben, aber in Stifter war ein krampfartiger Impuls auf einem anderen Wege, der einfacher schien in Wahrheit aber untermenschlich dämonisch und gespenstisch war, die sittliche Welt und das Schicksal mit der Natur zu verbinden. In Wahrheit handelt es sich um eine heimliche Bastardierung. Dieser unheimliche Zug wird sich bei scharfem Zusehen überall da finden, wo er in einem spezifischen Sinne »interessant« wird. – Stifter hat eine Doppelnatur, er hat zwei Gesichter. In ihm hat sich der Impuls der Reinheit von der Sehnsucht nach Gerechtigkeit zu Zeiten losgelöst, sich im Kleinen verloren um dann im Großen hypertrophisch (das ist möglich!) als ununterscheidbare Reinheit und Unreinheit gespenstisch aufzutauchen.
Es gibt keine letzte metaphysisch beständige Reinheit ohne das Ringen um den Anblick der höchsten und äußersten Gesetzlichkeiten und man darf nicht vergessen daß Stifter dieses Ringen nicht kannte.
II
Er kann nur auf der Grundlage des Visuellen schaffen. Das bedeutet jedoch nicht daß er nur Sichtbares wiedergibt denn als Künstler hat er Stil. Das Problem seines Stils ist nun wie er an allem die metaphysisch visuelle Sphäre erfaßt. Zunächst hängt mit dieser Grundeigentümlichkeit zusammen daß ihm jeglicher Sinn für Offenbarung fehlt, die vernommen werden muß, d. h. in der metaphysisch akustischen Sphäre liegt. Des ferneren erklärt sich in diesem Sinne der Grundzug seiner Schriften: die Ruhe. Ruhe ist nämlich die Abwesenheit zunächst und vor allem jeglicher akustischen Sensation.
Die Sprache wie sie bei Stifter die Personen sprechen ist ostentativ. Sie ist ein zur Schau Stellen von Gefühlen und Gedanken in einem tauben Raum. Die Fähigkeit irgendwie »Erschütterung« darzustellen deren Ausdruck der Mensch primär in der Sprache sucht fehlt ihm absolut. Auf dieser Unfähigkeit beruht das Dämonische das seinen Schriften in mehr oder weniger hohem Grade eignet und seine offenbare Höhe dort erreicht wo er auf Schleichwegen sich vorwärtstastet weil er die naheliegende Erlösung in der befreienden Äußerung nicht finden kann. Er ist seelisch stumm, das heißt es fehlt seinem Wesen derjenige Kontakt mit dem Weltwesen, der Sprache, aus dem das Sprechen hervorgeht.