Im Musée des arts décoratifs im Louvre gibt es ein kleines Nebengelaß, wo Spielzeug ausgestellt ist. Das Hauptinteresse des Beschauers ziehen einige Puppenstuben aus dem Biedermeier auf sich. Von den schimmernden Bouleschränkchen bis zu den kunstvoll gezimmerten Sekretären sind sie an jedem Teil das Gegenstück damaliger Patrizierwohnungen, und auf den Tischen dieser Räume liegt statt des »Globe« oder der »Revue des deux mondes« das »Magasin des poupées« oder »Le petit courrier« in 64° herum. Daß es Wandschmuck gibt, versteht sich von selbst. Aber nicht leicht ist einer darauf vorbereitet, in einem jener Stübchen überm Canape auf eine winzige, jedoch exakt gestochene Nachbildung des Kolosseums zu stoßen. Das Kolosseum in der Puppenstube das ist ein Anblick, der einem innigen Bedürfnis des Biedermeier muß entsprochen haben. Und es paßt gut dazu, wie in dem folgenden Brief – gewiß einem der biedermeierlichsten, die man nur finden kann – die Olympier Shakespeare, Tiedge und Schiller sich unter das Blumenjoch einer Geburtstagsguirlande schmiegen. So grausam das Spiel, mit dem die »Briefe über die ästhetische Erziehung« die Menschen zu freien Bürgern heranzubilden bestrebt waren, auf dem historischen Schauplatz gestört wurde, so sicher fand es sein Asyl in jenen Bürgerstuben, die einer Puppenstube so ähnlich sehen konnten. Ch.A.H.Clodius, der diesen erstaunlichen Brief schrieb, war Professor für »praktische Philosophie« in Leipzig. Das Lottchen ist seine Frau.
Ch. A. H. Clodius an Elisa von der Recke
d. 2. Dezbr. 1811.
Wie sehr große Seelen oft durch einen einzigen Gedanken des Wohlwollens auf entfernte Kreise ihrer Freunde und Verehrer wirken, davon, himmlische Elisa, haben wir den schönsten, wahrhaft entzückenden Beweis gestern gehabt. Die Aufstellung Ihrer wohl angekommenen kolossalen Büsten, mit denen Sie Lotten gütig beschenkten, unter einer kleinen Musik an Lottens Geburtstage war ein wahrer Gottesdienst für uns, und noch heute sitzen wir unter den mit Epheu umhangenen, mit seltensten Blumen umringten Büsten, wie die alten Griechen und Römer unter ihren Hausgöttern in den kleinen Hauscapellen gesessen haben mögen! – Alles vereinigte sich, sowohl Dekorazion als Cantate sehr zauberisch zu machen. Unsre kleine Hütte war um so mehr ein Elysium, je anspruchsloser alles sich darstellte.
Durch einen glücklichen Zufall hatte ich schon vorher, ehe Ihre Büsten ankamen, die schöne Büste Schillers für Lotte bestellt, welche sie so sehr gewünscht hatte. Durch eben diesen glücklichen Zufall hatte die Freigebigkeit unserer Freunde Lottchens kleines romantisches Zimmerchen nach der Allee heraus durch Orangebäume, blühende Aloe, Narzissen, Rosen, alabasterne Vasen zu einem Tempel Florens und der Kunst so decoriert, daß es würdig war, die fremden Gäste aus dem Olymp zu empfangen. Unter der (schon vorhandenen) Console Shakespeares war auf einer Art Blumenträger in der Mitte zwischen Ihrer und Schillers Büste unsres Tiedge Bild aufgestellt, welches als das leichteste in dieser Büstenform am besten von der hohen Herme getragen werden konnte. Sonst hätten freilich die männlichen Genien den weiblichen Genius in die Mitte nehmen oder die minder colossale Büste von Schiller in der Mitte zwischen den beiden colossalen stehen müssen. Von Tiedges Herme gingen Ranken von Epheu zu zwei runden Pfeilertischchen, auf welchen Elisa und Schiller hervorragten. In diesem Kleeblatt von weißen Gestalten trug ein kleiner Tisch die herrlichsten Blumen empor, denen man die Jahreszeit nicht anmerkte, und zu dessen Füßen waren die verkleideten Lichter angebracht, welche von unten einen concentrierten Zauberschein auf die weißen colossalen Köpfe warfen, welche aus den grünen Büschen hervorragten. Ein Stehspiegel in der Ecke des Zimmers, eine Spiegeltür aus einem antikgearbeiteten Secretair von Lottchen gaben die drei weißen Gestalten von neuem zurück, sodaß die Bilder beinahe dreifach erschienen. Wie wir das Zimmerchen öffneten und dies kleine Heiligthum erschien, lief die ganz unvorbereitete auf das ihr so innig theure Bild der Mutter und des Freundes zu, mit lautem Ausruf der Freude. Es ward ihr ein Stuhl vor den kleinen decorierten zauberischen Schauplatz hingesetzt, und alsdann begann von vier herrlichen Stimmen das Geisterchor aus dem angränzenden Zimmer hinter Lottchens Stuhl: Willkommen in dem neuen Leben!
Lottens Empfindung wird sie Ihnen, herrliche Elisa, selbst beschreiben und ihren Dank, so viel sie kann, ausdrücken. Mit ihr vereinigt sich der meinige, und herzliche Grüße an unsern verehrungswürdigen Tiedge. Möge der Himmel, edle Elisa, durch ruhige krankheitslose Stunden die vielen Freuden lohnen, die Sie auch in der Ferne unserer Lotte, uns zaubern! Wenn wir die wirklich herrliche Musik Ihnen schicken dürfen, die so viel reizendes, romantisches, inniges und doch zugleich erhabenes hat, werde ich sie abschreiben lassen. Mit inniger unausgesetzter Dankbarkeit und kindlicher Liebe bin ich
Ihr
Sie treu verehrender Sohn
C.A.H.Clodius.