Es würde von der Haltung, die die Briefe dieser Reihe heraufrufen sollen, ein oberflächliches Bild geben, stellte Freundschaft in ihnen immer nur in ihrem Glanze sich dar. Der folgende Brief Friedrich Schlegels, der aus einer Epoche stammt, in der die Beziehungen zwischen Schleiermacher und ihm sich getrübt hatten, bestätigt mehr vielleicht als alle aus glücklicheren Tagen die Worte Diltheys, daß in diesen vertraulichsten Mitteilungen Friedrich Schlegel ungleich edler erscheine »als in dem Bilde, das, freilich großenteils durch seine eigene Schuld, von ihm unserer Generation überliefert ist«. Der Brief bezieht sich auf ein Gespräch, das am 19. Juni 1799 zwischen den Freunden in Potsdam stattfand und in dem Schlegel, wie er sich später ausdrückt, auf Schleiermachers »Zuversicht im Unglauben«, auf seinen »Mangel an Sinn und Liebe im Einzelnen«, der ihn so oft geschmerzt habe, die Rede brachte. Anlaß dazu gab Schleiermachers Urteil über Schlegels Ideen. »Als ob ich fordern könnte, Du solltest die Ideen verstehen«, schreibt Schlegel ihm später, »oder unzufrieden darüber sein, daß Du sie nicht verstanden. Es ist mir ja eben nichts verhaßter als dieses ganzen Verstandes und Mißverstandes Wesen und Unwesen. Ich freue mich herzlich, wenn irgendeiner, den ich liebe oder achte, einigermaßen ahndet, was ich will, oder sieht, was ich bin. Du kannst leicht denken, ob ich in dem Falle bin, diese Freude oft erwarten zu können ... Geben Dir meine Schriften nur Anlaß, Dich mit einem hohlen Gespenst von Verstehen oder Nichtverstehen herumzuschlagen, so lege sie noch beiseite ... Das Gerede darüber kann aber gewiß wenig fruchten, geschweige denn gar über andere zartere Verhältnisse. Oder glaubst Du, daß zerrissene Blumen durch Dialektik wieder wachsen?« Im folgenden nun ein früherer Brief, in dem das Gefühl des Leidens noch frischer ist und die Haltung um so vornehmer.
Friedrich Schlegel an Schleiermacher
Ich schicke Dir die Correctur mit, weil ich nicht weiß, ob Dir der Titel so recht ist. Hier ist auch meine Notiz1 und ich wünschte, daß sie Dir ebenso recht sein möge, wie mir der Schluß der fünften Rede gefallen hat.
Nun laß uns vor jetzt lieber nicht wieder davon reden; denn Du hast mir das Licht, das ich sonst gern von Dir über Dich wünschte, auf eine so unfreundliche Weise gegeben, daß ich es lieber nicht wieder verlangen will. Es fruchtet auch wenig, denn ich kann nun einmal nicht so vorsichtig reden, und wenn nur eine Möglichkeit bleibt, meine Rede in einem gemeinen2 Sinn zu nehmen, so ergreifst Du sie unfehlbar. Das schadet denn weiter nichts, als daß wir in unserem verschiedenen Sprachgebrauch neben einander wegreden, wie den letzten Abend. Nur erinnert mich die Gefühllosigkeit, mit der Du es tust, natürlicherweise an die Art wie Du überhaupt meine Freundschaft mißhandelt hast, und diese Erinnerung möchte ich nicht gern wieder anregen. Da es aber doch einmal geschehen ist, so ergreife ich die Gelegenheit, Dir das Lebewohl zu sagen was mir seit Monaten auf den Lippen schwebt.
Es wäre gut, wenn Du etwas dabei fühltest, denn es könnte Dich veranlassen, wenigstens ein einziges Mal eine Ausnahme von Deiner Exegese zu machen und es allenfalls, wenn es Dein Verstand zuläßt, als Hypothese zu denken, daß Du mich vielleicht von Anfang bis zu Ende durchaus nicht verstanden hättest. Und so bliebe wenigstens die Hoffnung, daß wir uns in künftigen Zeiten einmal verstehen lernten. Und ohne einen Schimmer dieser Hoffnung würde es mir an Mut fehlen, jenes Lebewohl zu sagen. Beantworte es nicht.