Messina
Februar 1909
Als Stiefmutter Erde ihren Kindern dort unten grollte, war man durch nichts so sehr erschüttert wie dadurch, daß die Natur mit den Verbrechern gemeinsame Sache gegen die Gesellschaft machte. Die Meldung, daß sie aus den Gefängnissen ausgebrochen waren, schien unter allen Meldungen, die die Haare der Menschheit sträubten, die stärkste. Daß die Gelder der Wohltätigkeit gestohlen, daß bis dahin unbescholtene Gauner verlockt wurden, aus sich selbst auszubrechen, wirkte weniger erschreckend als die Tatsache, daß Verbrecher, die man schon hatte, aus den Gefängnissen entkommen waren. Die Sträflinge von Messina waren die einzigen Menschen, von denen man verlangen konnte, daß sie genügend Besinnung und genügend Respekt vor der staatlichen Autorität haben, um die destruktiven Tendenzen der Natur nicht zu unterstützen. Die Enttäuschung, die sie den europäischen Zeitungslesern bereitet haben, mag tief sitzen. In allen Kulturzentren regt sich jetzt die Besorgnis, daß man im Fall eines Erdbebens gegen Eigentumsdelikte, und gegen solche, die schon vorher begangen wurden, nicht gesichert sei. Daraus spricht jener Heroismus, der bei der Wahl zwischen Leben und Börse sich zum Verzicht auf das Leben entschließt. Die Gesellschaft denkt das »fiat justitia, et pereat mundus« mit äußerster Konsequenz zu Ende und bis zu dem Wunsch, daß die letzten Häuser, jene, die einem Erdbeben getrotzt haben, die Gefängnisse sein mögen. Und wenn der Wunsch nicht in Erfüllung gehen sollte, dann ists eine schmackhafte Vorstellung, daß die Leichname der Verbrecher Ketten tragen ... So reißt ein Erdbeben die Gedankenwelt der Erwachsenen auf. Sie denken an den Verbrecher. Kinder denken an den Teufel, und fürchten ihn nicht mehr. Die Größe des Unglücks befreit sie von der Angst, daß darüber hinaus noch etwas geschehen könnte. Die Eltern halten sich die Taschen zu — ein Kind findet vor dem Unermeßlichen Worte, wie sie ein Dichter spricht. »Der Teufel«, hörte ich es sagen, »hat ein Erdbeben angerichtet, das war so groß, daß der Teufel selbst dabei zugrund gegangen ist!«