a priori - a posteriori
Es ist schon gesagt worden, dass a priori und a posteriori (oder wie man sonst den Gegensatz zwischen Geisteswissen und Sinnenwissen bezeichnen will) nur Abstraktionen sind, welche in ihrer Abgetrenntheit wirklich gar nicht vorkommen. Man hat aber wohl kaum bemerkt, dass diese beiden Wege alltäglich und immer beschritten werden, ja dass eigentlich jeder Begriff, jedes Wort nichts ist als der Treffpunkt dieser beiden Wege, der Kreuzweg zwischen dem schmalen Sinneseindruck, der von außen nach dem Gehirn geht, und der Seele, das heißt dem breiten Gedächtnisse, das ihn irgendwo aufnimmt.
Ohne dieses Innehalten am Kreuzweg würde der einfachste Begriff nicht durch "Vor"urteil zustande kommen können. Da tritt ein Sinneseindruck in die Seele: ein Hund. Es würde bei dem unklaren Bilde bleiben, das a posteriori wie ein Traum an dem engen Guckloch des sogenannten Bewußtseins vorüberzieht, wenn dieses sogenannte Bewußtsein nicht eben das Gedächtnis selber wäre, das lebendige a priori, welches darauf lauert, von seinem Guckloch aus den Sinneseindruck zu treffen, einzuheimsen. Oder vielmehr, das Gedächtnis sitzt wie die Larve des Ameisenlöwen in der Grube und lauert auf Beute. Für jede Art von Eindruck hat es gewissermaßen Rinnen nach seiner Grube, seinem a priori, gezogen, welche immer für eine bestimmte Gattung bestimmt sind. Kommt nun so ein Eindruck in das Gebiet seiner Rinne, muß er eben ohne Gnade hinunterrutschen und fällt in den Begriff. Der Beginn dieser apriorischen Tätigkeit ist das Geheimnis, welches alle anderen psychischen Geheimnisse in sich schließt. Warum hat man sich daran gewöhnt, auf Ähnlichkeiten, auf Analogien "hereinzufallen"? Es wird wohl auf Interesse, insbesondere auf das Interesse der Bequemlichkeit hinauslaufen. Und je größer die Beute, desto größer das Interesse. Und weil Beute immer ein künftiger Vorteil, darum ist Phantasie bei dieser Art des Erfindens, beim Urteilfinden, ebenso mittätig wie bei der Arbeit anderen Erfindens, die der des Künstlers nahe steht.
Auf dem Gebiete der höchsten Begriffe arbeiten a priori und a posteriori nicht anders ineinander; ja die Kreuzung ist sogar, weil wir es mit gelehrten Begriffen zu tun haben, leichter zu verfolgen. So ist es z. B. durchaus nicht rein a posteriori, wenn eines schönen Tages, nach mehrtausendjährigen Vorarbeiten, die Ellipse als Planetenbahn entdeckt wird. Sie wird eben nicht bloß entdeckt, sondern zuerst erfunden. Wir freilich, die wir das in der Schule gelernt haben, halten den Fund für eine Entdeckung, also für aposteriorisch. Aber selbst Kolumbus mußte zuerst a priori, erfinderisch, sich den Seeweg nach Westen ausdenken, bevor er auf diesem Wege Amerika entdecken konnte. So sah auch Kepler die merkwürdigen Gleichungen der Planetenbahnen so lange mit Erfinderaugen an, prüfte so lange alle Möglichkeiten, bis er a priori auf die Ellipse fiel, die er dann aposteriorisch nachwies. Nach dieser Tat wurde der Begriff Ellipse um den Teilumfang "Planetenbahn" reicher, der Begriff Planet um den Teilinhalt Ellipse.
Man müßte a priori "von innen", a posteriori "von außen" übersetzen. Aber viel wird damit freilich nicht geschehen.
Der tiefste Sitz des a priori muß da sein, wo wir unsere Sinnesempfindungen in Wahrnehmungen verwandeln, die wir dann nach außen "projizieren". Ohne diese aprioristische Tätigkeit könnten wir ebenso wenig sehen oder hören wie eine Statue. Da nun die Tiere sehen und hören, müssen sie eben dieses "Organ der Philosophie" auch besitzen. Hätten sie also auch keine Sprache, so hätten sie doch das Höhere, das a priori.