Einteilung der Urteile sprachlich
Die ganze Einteilung der Urteile nach ihren prädikativen, objektivischen und attributiven Verhältnissen ist ein unglücklicher Versuch, die Tatsachen unserer Kultursprachen der Welt der Wirklichkeit aufzuzwingen. Hätte deren Grammatik mit der neuern Naturwissenschaft und Psychologie gleichen Schritt gehalten, so wüßten wir jetzt, dass der Unterschied der substantivischen, adjektivischen und verbalen Prädikate so in der Wirklichkeit nicht besteht, weil doch nur die alte Sprache es ist, die Sinneseindrücke der Bequemlichkeit wegen nach den Kategorien der logisch-grammatischen Redeteile unterscheidet, so wüßte jedes Kind, dass die objektivischen Verhältnisse uns nur helfen, uns in Zeit und Raum der Wirklichkeit, in ihrer Kausalität, zurechtzufinden, dass die attributiven Verhältnisse nur sprachlich in die Verbindung von Wahrnehmungen Ordnung zu bringen suchen.
Auf den Grundirrtum jedoch, der logischen Spielerei eine Entscheidung über Wahrheit und Unwahrheit der Sätze, ein Urteil über die Urteile, zuzutrauen, beruht die Einteilung nach Qualität und Modalität, das heißt die Einteilung in bejahende und verneinende Sätze einerseits, in mögliche, in angenommene und in bewiesene Sätze anderseits. Dabei bemerkt die Logik gar nicht, dass Bejahung und Verneinung der Sprache mit Wahrheit und Unwahrheit der Erkenntnis gar nichts zu tun hat, dass anderseits der Grad der Gewißheit eines Satzes, seine Wahrscheinlichkeit, bald ein Schwanken, bald ein streng wissenschaftliches Ergebnis ausdrücken kann. Der Satz "die Erde steht nicht still" ist sprachlich und logisch eine Verneinung, psychologisch eine sehr positive Wahrheit. Und wieder: bin ich ungewiß, ob der Würfel beim nächsten Wurf die Zahl 6 zeigen werde, so ist mein psychologischer Zustand der der Unsicherheit. dass aber die Wahrscheinlichkeit in diesem Falle gleich sei einem Sechstel, das ist eine sichere logische Wahrheit. Während wir glauben, dass unsere Sinneseindrücke und Begriffe wohl von etwas herrühren, was in der Wirklichkeitswelt den Sinneseindrücken und Begriffen analog ist, kommen wir also hier zu der felsenfesten Überzeugung, dass in der Wirklichkeitswelt absolut nichts vorhanden ist, was irgendwie entsprechen könnte den substantivischen, adjektivischen und verbalen Formen unserer Prädikate, was irgendwie entsprechen könnte der Bejahung und Verneinung, der Gewißheit und Ungewißheit in unseren Sätzen. So wenig es den Mond kümmert, ob ein Hund ihn anbellt, so wenig weiß die Natur von der menschlichen Sprache. "Die helle Sonne leuchtet." So reden wir Menschen, und einige von uns haben dabei etwas wie eine Vorstellung von der ungeheueren Gasmasse, welche über 100 Millionen Kilometer von uns entfernt die "Bewegung" verursacht, die wir mit unsern Augen wahrnehmen und je nach Bequemlichkeit "Sonne", "hell" oder "leuchten" nennen. Das Substantiv allein, das Adjektiv allein, das Verbum allein kann unter Umständen (z. B. als Antwort auf eine Frage nach dem Wetter) durchaus und vollständig den gleichen Gedanken geben wie der ganze Satz "die helle Sonne leuchtet", der auch so überflüssig, so luxuriös klingt wie ein Vers. Und dem Satze "die Sonne leuchtet nicht" entspricht in der Wirklichkeit durchaus keine Negation. Und durchforschte man das Universum bis zu den Enden der Milchstraße, man stieße auf nichts Negatives. Immer sind es positive Wolken oder Nebel, oder die Stellungen der Sonne (hinter dem Mond oder unter unserem Gesichtskreis), immer sind es positive Dinge, die uns sagen lassen, dass die Sonne nicht leuchtet. Und wenn wir ungewiß darüber sind, ob morgen Sonnenschein sein wird, oder darüber, ob nach Millionen Jahren die helle Sonne leuchten wird wie heute, so ist die Ungewißheit einzig und allein in uns, in unserem Wissen oder unserer Gedächtnismasse. In der Natur ist, ob morgen schönes Wetter sein und ob die helle Sonne nach Millionen Jahren leuchten wird wie heute, so gewiß, so notwendig gewiß, wie für uns kaum der Satz, dass zweimal zwei vier ist. Nur die Sprache oder der Verstand kann dumm sein oder unsicher; die Natur ist sprachlos, sie kann nicht zweifeln, weil sie nichts weiß.