Partikulare Urteile
Hier sehen wir noch deutlicher als früher (III. 173 f.), dass die verschiedenen logischen Einteilungen der Urteile nur sprachlicher Art sind und die Erkenntnis der Wirklichkeit nicht fördern können. Das Urteil geht vom Begriffe aus psychologisch nach rückwärts. Nur die Richtung der Aufmerksamkeit gibt den Einteilungsgrund nach Modalität und Relation, nach Qualität und Quantität. Wie es in der Welt der Wirklichkeiten keine Bejahung und Verneinung, keine Möglichkeit und Gewißheit gibt, sondern nur eben Wirkliches, dessen wir bejahend gewiß sind, so gibt es in der Natur auch keine allgemeinen und keine partikularen Sätze. Die Sache liegt genau so, dass wir ein allgemeines Urteil bilden, wenn wir von einem Begriff nach einem seiner Merkmale schielen, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf einen Teil seines Inhalts lenken, z. B. "Alle Hunde sind oder heißen Säugetiere"; dass wir dagegen partikulare Urteile bilden, wenn wir vom Begriff nach einem Teil seines Umfangs schielen, z. B. "Einige Säugetiere sind oder heißen Hunde". Ich kann nicht finden, dass unser Denken mit solchen Satzbildungen erheblich vorwärts schreitet.
Ich brauche Leser von besserem Sprachgefühl nur darauf aufmerksam zu machen, dass die übliche Form des partikularen Urteils (einige A sind B) der natürlichen Sprache Gewalt antut. Der Sprachgebrauch würde die Form verlangen "die Hunde sind eine Art (resp. eine Familie usw.) der Säugetiere". Die Logik aber braucht ihre unnatürliche Form, um innerhalb der oft unnatürlichen Naturklassifikationen ihre Spielereien treiben zu können. Man sieht es am besten an der seit Linné üblichen Klassifikation des Pflanzenreichs, wie willkürlich die artbildenden Merkmale oder Unterschiede sind. Für unsere Sprachkritik ist es lehrreich, dass die Versuche eines Pflanzensystems sich immer wieder mit der Aufstellung einer geordneten Nomenklatur begnügen. Man teilt die Pflanzen nicht mehr nach ihrem Nutzen für Apotheke und Haushalt ein, aber immer noch nach der Anzahl usw. ihrer Geschlechtsorgane. Man hält immer noch den Satz "einige Blumen haben fünf Staubfäden" für ein nützliches partikulares Urteil, ebenso den Satz "einige Pflanzen sind Arzneien". Weil aber eine Haupteinteilung der Pflanzen nach der Farbe ihrer Blüten niemals versucht worden ist, hat der Satz "einige Blumen sind blau" keine Beziehung zu einem artbildenden Merkmal und ist doch logisch ebenso gut wie die beiden anderen Sätze. Ja, er muß in unseren Augen eher noch wertvoller sein, weil er nicht aus dem Begriff allem hervorgeht, sondern eine neue Beobachtung hinzufügt. Die Beobachtung der Blumenfarbe ist zufällig oder vorläufig gleichgültig. "Wir wissen mit der Farbe der Blume nichts anzufangen", sagen wir, das heißt wir haben meist keine Veranlassung gehabt, nach der Farbe der Blumen neue Arten oder Worte zu bilden. Auf anderen Gebieten war es anders. Man hat z. B. die Menschen ursprünglich nach ihrer Farbe in Eassen geteilt und erst nachträglich erfahren, dass sich anatomische und sprachliche Verschiedenheiten vielfach mit den Farben decken.
Worauf ich hinaus will, das ist die Bemerkung, dass das partikulare Urteil — je nachdem "einige" eine Art ausmachen oder nicht — zwei gründlich verschiedene Sätze umfaßt. Wir können den Satz "einige Säugetiere sind Hunde" nur in der Form brauchen "der Hund ist eine Säugetierart"; in diese Form können wir den Satz "einige Blumen sind blau" nicht bringen, weil Bläue für "die Blumen" kein artbildendes Merkmal ist. Aber nur in diesen wertlosesten Fällen kennt die natürliche Sprache ein partikulares Urteil, nur da gebraucht sie das Wort "einige". Wir werden bei der Lehre von der Schlußfolgerung vielleicht sehen, welchen Unfug die Logik mit der Aufstellung von partikularen Urteilen getrieben hat.