Urteil und a priori
Es ist eine feine Bemerkung Steinthals (Abr. d. Sprachwissenschaft I. 14), dass jeder Denkakt die Kombinierung eines apriorischen und eines aposteriorischen Moments sei, dass das Subjekt (des Urteils) das aposteriorische, das Prädikat das apriorische Moment sei und dass darum unser Denken sich in der Form des Urteils bewege. Eine feine Bemerkung für jemand, der in der Sprache immer noch das Werkzeug der Erkenntnis sah. Sonst hätte er noch den weitern, vielleicht letzten Schritt machen müssen, zu sagen: das Urteil ist die sprachliche Form des Denkens, das erklärende Urteil ist aber nichts als die Einreihung eines neuen Eindrucks in das Magazin des Gedächtnisses, es ist also nicht selbst die Bereicherung des Denkens, sondern nur die Quittung über den Zuwachs, es ist also wertlos, wie das Denken selbst. Weil wir aber nichts Anderes haben als die Quittungen, die Urteile in Worten, darum halten wir uns an sie. Unser Denken oder Sprechen ist nur die Oberrechnungskammer, die selbst keinen Pfennig besitzt.
Ich habe eben das Wort gebraucht, "den weitern, vielleicht letzten Schritt"; es war ein recht dummes Wort, kehrt aber bei allen selbstbewußten Denkern in irgend einer Form wieder. Es ist nur natürlich, dass wir immer vor einem Abgrund zu stehen glauben, wenn wir ins Finstere treten. So ein finsteres Loch ist immer die Zukunft. Eine Sprache ohne Zukunftsform des Zeitworts wäre vielleicht für philosophische Untersuchungen recht geeignet. Sie würde verhindern, aus ignoramus leichtsinnig ignorabimus zu machen; der "vielleicht letzte" Schritt war so eine dumme Zukunftsform.
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