Bilderschrift
Was zunächst die alte Bilderschrift anbelangt, so ist für mich der Umstand besonders wichtig, dass sie aus konventionellen Zeichen bestand. Ich lasse dabei ganz beiseite, ob die Totems der Indianer und die ältesten Hieroglyphen der Ägypter von den Schriftgelehrten richtig gedeutet worden sind. Es scheint mir aber der bloße Anblick dieser Linien unzweifelhaft zu zeigen, dass erstens die Absicht einer Mitteilung vorlag, dass es sich also um eine schriftliche Sprache handelt, und dass zweitens die einzelnen Zeichen dem ganzen Volke oder doch einem Kreise von Gebildeten verständlich waren. Hätten wir keine Schrift vor uns, so hätten nur methodische Tollhäusler ihre Bauwerke in dieser Weise bemalen können; wären es keine konventionellen Zeichen, sie würden sich nicht so regelmäßig wiederholen.
Zu jener Zeit nun, als der Indianer seine Totems, der alte Mexikaner seine Bilder und der alte Ägypter seine Hieroglyphen herstellte, wurde natürlich von allen diesen Leuten daneben ihre Muttersprache gesprochen, die wer weiß wie viele Jahrtausende der Entwicklung schon hinter sich hatte. Nun hat die Sprachwissenschaft unserer Gelehrten ganz richtig herausgefühlt, dass die Bilderschrift, als sie nach ungemessenen Zeiträumen auf die Lautsprache folgte, ähnlich anfing wie die Lautsprache. Die Lautsprache soll aus Klangnachahmungen der Natur hervorgegangen sein; so die Bildersprache aus unmittelbaren Nachahmungen konkreter Gegenstände. Und darin nur soll ein wesentlicher Unterschied zwischen Lautsprache und Bildersprache bestehen, dass die Lautsprache zunächst an Handlungen u. dgl. (schreien, rauschen usw.) anknüpfen mußte, die Bildersprache jedoch an sichtbare Dinge. Mit der Onomatopöie konnte man zunächst den Ton eines Kuckucks, eines Löwen oder den Donner oder das Wasser bezeichnen, mit der Bildersprache den Löwen, den Adler, einen Stuhl oder einen Stab. Man könnte auch sagen, die Lautsprache decke sich mit dem Verbum, die Bildersprache mit dem Substantiv. Ich brauche hoffentlich nicht hinzuzufügen, dass dieser Gegensatz von Verbum und Substantiv der alten Zeit nicht nur in den grammatikalischen Begriffen fremd war, sondern ursprünglich sicherlich auch in dem Gefühl. In den Anfängen der Sprache kann der Gegensatz zwischen dem Verbum, das mit Hilfe der Klangnachahmung dargestellt wurde, und dem Substantiv, das vielleicht durch eine malende Geste gezeigt wurde, nicht viel anders empfunden worden sein als der Gegensatz zwischen hörbaren und sichtbaren Eigenschaften der Dinge. Und ich möchte die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne darauf hinzuweisen, dass bis zu dieser allerdings geringen Klarheit der Unterschied zwischen Verbum und Substantiv auch in der Vorstellung eines Tieres sich ausprägen muß; der Hund unterscheidet doch offenbar zwischen seinem Herrn und dem Sprechen dieses Herrn, wenn er auch so ungebildet ist, den Anblick der Pistole und den Knall der Pistole nicht gleich in ursächlichen Zusammenhang zu bringen. Der Herr mag ihm als der Gott des Knalles erscheinen. Aber wie lange haben die Menschen gebraucht, um die sichtbaren Wolken und den hörbaren Donner (Substantiv und Verbum) in ursächlichen Zusammenhang zu bringen; noch heute suchen sie vielfach hinter den Wolken den Gott des Donners.