Der Phonograph
Es gibt eine Möglichkeit, wenigstens zu einer minder fehlerhaften, zu einer natürlichen Schrift zu gelangen. Durch die Erfindung des Phonographen nämlich. Diese Erfindung, welche in unseren physikalischen Kabinetten immer noch die Rolle einer bloßen Spielerei inne hat, wird dereinst die Phonetik neu aufbauen lassen1. Der Phonograph ist nämlich durch einen eigentümlichen Umstand weit wunderbarer als die Photographie. Ich möchte sagen, dass die Photographie die Welt immer noch vom naiven Standpunkt sieht, mit vor-kantischen Augen. Der Phonograph ist der mechanisch gewordene transzendentale Idealismus. Denn wenn die Camera obscura des Photographen die Lichtschwingungen an der Oberfläche eines Gegenstandes mechanisch auf der Platte festhält, so sehen wir nachher diese fixierten Schwingungen doch wieder nur mit demselben Sinnesorgan, dem Auge, mit welchem wir das Licht auf der Oberfläche des Gegenstandes gesehen haben. Wir sehen das Lichtbild genau so, wie wir das Original sehen. Das Zwischenglied, die Verwandlung des Lichteindrucks in mechanische Schwingungen und die chemische Wirkung dieser Schwingungen auf die photographische Platte, können wir nur vermuten, beschreiben, meinetwegen erklären, aber wir können sie nicht wahrnehmen. Es ist, als ob wir mit Hilfe einer Dampfmaschine eine Dynamomaschine in Tätigkeit gesetzt hätten, die nun ihrerseits wieder ein Triebrad bewegt. Das kann unter Umständen nützlich sein; wir bekommen aber in der Regel keine elektrische Erscheinung in die direkte Wahrnehmung. Ganz anders beim Phonographen. Bei den spielerischen Versuchen, zu denen er dient, kehrt freilich die hineingesprochene Stimme nach beliebiger Zeit wieder zu unserem Ohr zurück. Das Zwischenglied jedoch, die zitternde Bewegung des Stiftes auf dem Zylinder von Stanniol, können wir sehr gut direkt wahrnehmen und es unter dem Mikroskop studieren. Diese Zickzacklinie auf dem Stanniol ist aber nichts anderes als die sichtbar gewordene Luftschwingung; es ist der Schall sichtbar geworden. Da nun jeder einzelne Laut der menschlichen Stimme auf dem Stanniol ein anderes Bild erzeugt, so wäre es recht gut möglich, durch eine — ich möchte sagen — stilisierte Nachahmung des Stanniolbildes zu einem natürlichen Alphabet zu gelangen, dessen künftige Bedeutung für die Sprachwissenschaft ich gar nicht abzusehen wage2.
- Seit dem Erscheinen der ersten Auflage ist bereits mehrfach der Versuch gemacht worden, den Phonographen in den Dienst des Sprachstudiums und des Eindringens in Aussprache und Melodik "wilder" Völker zu stellen.↩
- Herr Gerichtsrat Hesse scheint bei einer neuen Kurzschrift auch die obigen Anregungen beachtet zu haben. (Jenaische Zeitung, 21. Juli 1911.)↩