Wein
Wein, Vinum. Dieses köstliche und beliebte Getränk wirkt teils durch seinen Alkoholgehalt aufregend, erwärmend, erquickend, belebend, in großen Dosen, gleich dem Branntwein (s. d.), berauschend, teils wegen seiner fixen Bestandteile (Oenanthsäure, Zucker, weinsaures Kali) schleimauflösend und magenstärkend. Den Alkohol oder Weingeist finden wilder Reihefolge nach mehr oder weniger stark:
Im | Portwein | 19¾ | pro Cent, | ||
— | Madeira | 18⅓ | — | ||
— | Konstantia | 18⅓ | — | ||
— | Lacryma Christi | 18 | — | ||
— | Xeres | 17 | — | ||
— | Graves und Champagner | 11 | — | ||
— | Tokayer u. roten Champagner | 10 | — | ||
— | Rheinwein | 8 | — |
Zum ärztlichen Gebrauch dienen besonders die feinen Bordeauxweine; bei Hypochonder, mit Magenschwäche, Flatulenz, bei chronischem Schleimhusten, bei Keuchhusten, Darrsucht der Kinder und Greise sind die süßen spanischen und italienischen Weine: Madeira, Malaga, Xeres, Frontignac, Pedro Ximenes, Tinto u. s. w. vorzuziehen.
Über den diätetischen Gebrauch des Weins ist schon oben geredet (s. Gesundheitsregeln); wir betrachten daher nur noch die speziellern Fälle, wo der Wein als Heilmittel dient, dann oft unersetzbar ist, und allein das Leben rettet.
1) Als belebendes, erquickendes Mittel (Analepticum) bei sensiblen, schwachen, nicht vollsaftigen Frauenzimmern, wenn sie nach einer schweren Geburt, nach übermäßiger Körper- und Geistesanstrengung: Strapazen auf Reisen, Nachtwachen, durch Mangel an Schlaf, übermäßiges Studiren u. s. w. in Schwäche, Ermattung und Ohnmachten versinken. Bei allen Mutterblutflüssen, sei es im Wochenbette, gleich nach der Geburt des Kindes, oder außerhalb des Wochenbettes (entstanden durch Abortus, durch krankhafte Beschaffenheit der Gebärmutter, durch die Tendenz des Zurücktretens des Geschlechtslebens in der Zeit der Decrepitität u. s. w.), ist ein guter alter, edler Wein (Vinum generosum), zumal alter Rhein- oder Franzwein in den Fällen höchst notwendig zur Lebensrettung, wo durch den bedeutenden, schwächenden Blutverlust Kälte des Gesichts und der Glieder, sehr kleiner oder fehlender Puls, eine bedeutende Gesichtsblässe, Ohnmachten und Konvulsionen eintreten (s. auch Branntwein).
2) In schlimmen Nervenfiebern, ansteckenden Hospital- und Faulfiebern, Typhus, bösartigem, zurückgetretenem Scharlach, Masern, Pocken, wo Schlummersucht, Krämpfe, Gefühllosigkeit, schrecklich stinkende Durchfälle, Durchliegen, Brand, Stumpfsinn, Bewußtlosigkeit u. s. w. zugegen sind, rettet guter, alter Wein, im Notfall Branntwein, oft allein noch das Leben.
3) Gegen plötzlich und heftig auftretende Zahnschmerzen, rheumatisches Kopfweh und solche Gliederschmerzen bei Erwachsenen kenne ich kein besseres Mittel, als alle Viertelstunden 15—20 Tropfen safranhaltige Opiumtinktur mit ein bis zwei Gläsern Wein, bis sich die Schmerzen geben und Müdigkeit erfolgt. Es stellt sich bald Schlaf und starker Schweiß ein, und am anderen Morgen ist der Kranke genesen. Grosse Dosen Opium und zwei bis drei Flaschen Wein binnen 24 Stunden gereicht, retten bei dem rheumatischen Starrkrampf (Tetanus) oft allein noch das Leben (C. A. Richter, N. Rust, Kurie, Hosak).
4) Bei schwachen Personen mit Atrophie, Rachitis, mit Dyscrasia scrophulosa, chlorotica, arthritica sind die weißen Franzweine als die Dyskrasie entfernende und Säfte verbessernde Mittel von hohem Werte.
5) Wein und Wasser ist für schwache Fieberkranke ein beliebtes Getränk in Frankreich (s. Eau rougie).
6) Guter Wein schützt, so wie andere geistige Getränke, vor Ansteckung bei Pest, gelbem Fieber, Typhus u. s. w., teils, weil er die Furcht, angesteckt worden zu sein, verscheucht, teils weil er auf den Schweiß und Harn wirkt und dadurch den Ansteckungsstoff nicht selten aus dem Körper entfernt, so dass nur ein Gefühl von Mattigkeit, nicht aber die ansteckende Krankheit selbst eintritt (Osiander a. a. O. S. 314).
7) Der Wein ist aber nicht allein ein Schutzmittel vor vielen ansteckenden Krankheiten, sondern auch ein Heilmittel derselben. Eine halbe, ja eine ganze Flasche guten Drymadeira half hier mehreren Männern rasch von der orientalischen Brechruhr, indem Körperwärme und Schweiß eintraten; ja in Glasgow heilt man den dort oft sehr bösartig auftretenden, ansteckenden Typhus am besten mit Portwein. Jeder Typhuskranke hat im dortigen Hospitale seine Flasche starken Portwein neben sich stehen.
8) Bei nicht vollsaftigen jungen, sondern alten, schwächlichen, mit Wassersucht behafteten Personen wirken drei bis vier Gläser Aar- oder Moselwein sehr gut harntreibend. Diese Weine, mit Selterser Wasser vermischt getrunken, treiben, wie v. Gräfe versichert, selbst Gries und Steine ab.
9) Der Champagnerwein hat schon manchem Menschen das Leben gerettet! Er beruhigt vermöge seiner Kohlensäure (s. Brausepulver) und seines Aroma die Magennerven und Abdominalganglien, dient bei der schlimmen Cholera, bei Magenkrampf, Krampferbrechen, besonders aber bei dem nach dem Magen zurückgetretenen Podagra, wo alle gefährlichen Zufälle: Würgen, Erbrechen, Krämpfe, Ohnmachten, höchster Grad von Schwäche u. s. w. nach einer Flasche weißen Champagner, auch moussierendem Burgunder, H. Peray und Sillery, oft schnell verschwinden.