»d'ailleurs«
Wo der Deutsche auf jemand »beese« ist, hat der Franzose seine médisance, die leise tötet. Eine der feinsten Giftzähne dieser Schlange heißt: »d'ailleurs« – übrigens … so ganz nebenbei …
»d'ailleurs« liegt in Relativsätzen eingebettet, am Anfang oder am Schluß, und unbeweglichen Gesichtes tötet der »salonnard«, wie Daudet das nennt, seinen Feind, und wenn es gar eine »salonnarde« ist, dann kann man etwas erleben. Kommt bei uns die Rede auf einen Unbeliebten, dann krempeln sich die Männer die Ärmel hoch, die Frauen laufen rot an und nehmen einen Anlauf (»In welchen Salons verkehren Sie, Herr Panter?« – In Ihrem, gnädige Frau), und los gehts, dass die Späne stäuben. Nichts davon in Frankreich.
Jedesmal, wenn ich über den tiefen Untiefen dieser Küstenstriche daherplätschere, freue ich mich auf einen Augenblick, der unweigerlich eintritt, sooft Menschen vom Nebenmenschen reden, was meistens nicht so sehr hellgrün ausfällt. Niemals: »Ich wer Ihn mal was sahrn: das ist ein ganz großer Schieber!« – sondern die Stimme wird kaum gehoben, ein Relativsätzchen, ein kleines: » … qui n'est pas très riche d'ailleurs … « Aus. Der andre hat sofort verstanden – der nicht sehr Reiche ist tot, erledigt, gar nicht mehr vorhanden, denn das heißt: er tut bloß so, es ist alles nicht wahr, Gott strafe ihn, mißtrauen Sie diesem Kerl, pfui! nieder! auf ihn mit Gebrüll.
Hier wird alles nebenbei erledigt. Die Hauptsache liegt in den Nebensätzen, die Nebensache steht vorn und ist Paravent, Geschützschild und die »Wand« des Sommernachtstraumes. Unmöglich, ein Gespräch mit der Hauptsache zu beginnen. Leise strecken sich erst die Fühler der Konvention aus … »Ça va? Et votre femme? Ah, vous savez, après les élections … « alle Dreschmaschinen arbeiten und legen riesige Haufen leeren Strohs beiseite … Bis dann plötzlich, beinahe zu guter Letzt, die Hauptsache in einem Nebensätzelchen auftaucht … »Apropos … « Und dann gehts los.
So werden hier Reputationen gemacht und Reputationen vernichtet, ganz leise geht das; die kleinen Steine, die jedesmal von einem stolzen Gebäude abbröckeln, rieseln fast unmerklich zu Boden. Jede Dame hat eine lange Nadel, mit vergifteter Spitze, die in der Sonne grünlich blinkt … »Son mari qui d'ailleurs fréquente un monde un peu spécial … «
Nehmen wir uns ein Beispiel und traktieren wir nicht mehr unsre Minister, strebenden Regierungsdirektoren und Pressechefs mit Tritten in den Popo. So wollen wir denn in Frieden mit dem Herrn Botschafter leben, qui en abusant de son métier n'est pas trop intelligent d'ailleurs …
Lasset uns fortan in Nebensätzen wirken wie unsre Erbfreunde, die Franzosen.
Peter Panter
Die Weltbühne, 14.08.1928, Nr. 33, S. 259.