Der Hund und der Blinde
Hans Hyan hat neulich einmal berichtet, wie schwierig es sei, Führerhunde für die Kriegsblinden zu dressieren. Da die Dressur in der Öffentlichkeit vor sich gehen muß und es dabei ohne kleine Klapse für den Hund nicht abläuft, so nimmt das Publikum sehr oft Partei, entdeckt plötzlich, dass es einen Tierschutz gibt, und macht dem Dresseur unmöglich weiterzuarbeiten. Und Hyan fährt fort: Die Rücksichtnahme grade auf Kriegsblinde, die in der ersten Zeit nach dem Kriege allgemein gewesen, sei heute größtenteils geschwunden, und die Äußerung: »Ach, der arme Hund muß den ganzen Tag den Blinden führen!« höre man immer wieder.
Weil wir grade von Fürstenabfindung reden:
Falsche Sentimentalität ist immer mit Roheit verbunden. Niemand ist so kaltherzig und erbarmungslos gegen Arme und Hungernde und uneheliche Schwangere wie die alten Jungfern beiderlei Geschlechts, die ihr Hündchen karessieren; in dieser egoistischen und zu nichts verpflichtenden Betätigung sehen sie ihr christliches Herz. Schon Dehmel vermerkte in seinem Kriegstagebuch, dass es die rohesten Unteroffiziere waren, die abends die »Bank am Elterngrab« sangen. Auf der drübigen Seite steht also die falsche deutsche Sentimentalität, die es nun auf einmal mit der Dankbarkeit und Treue zum angestammten Herrscherhause hat, das in den Novembertagen 1918 nichts von Treue wußte.
Daneben hockt die unsinnige Angst vor der Idee der Enteignung. Und an wem liegt das –? An der ungeschickten Propaganda.
Man spricht immer von »Enteignung der Fürsten«. Aber die wollen das Volk enteignen, denn ihre Güter gehören ihnen nicht und haben ihnen nie gehört. Sie sind niemals Privatleute gewesen, als sie ihre Rechte wahrten – sie können es heute nicht sein, da man sie ihnen streitig macht. Sie wollen haben – nicht wir.
Zu einer guten Propaganda scheint mir ferner zu gehören: Veröffentlichung von Einzelzahlen. Bei dicken Broschüren und langen Tabellen kann sich der vielbeschäftigte Zeitungsleser gar nichts denken; man zeige ihm etwas andres.
Warum steht nicht in jedem anständigen Blatt, das sich dem Begehren des Fürstenausschusses der Sozialisten, der Kommunisten anschließt, jeden Tag ein Kasten mit immer nur zwei Zahlen: Monatseinkommen eines Durchschnittslesers, eines Arbeiters, eines Angestellten – und: Monatsrente des Prinzen Heinrich; Monatsabfindung des Deserteurs in Doorn; Monatserträgnisse aus einem, einem einzigen Fürstengut? Das begreift jeder. Man muß nur die Zahlen auf sein Augenmaß zurückführen, den Hausfrauen, die mit Groschen rechnen, zeigen, wie das Geld stromweise, hunderttausendmarkweise in die Fürstenkassen marschiert … Das wäre eine gute Propaganda.
Aber was nützt alle Propaganda, wenn man so schlappschwänzig, so halbmutig an die Aufgabe herangeht! Es ist dasselbe wie damals bei der Wahl Hindenburgs: die ganze Angst, das böse Gewissen, die Weichheit dieser republikanischen Opposition verhindert den Sieg. So reitet man keine Hürden. Hinüber kommt nur, wers auch glaubt.
Es ist noch Zeit, hinüberzukommen, wenn ihr nur wollt.
Aber wollen müßt ihr. Auch heute noch: wieviel Untertanen, wieviel brave treue Blicke nach oben, wieviel Knechte! In den kleinen Residenzen, wie etwa Coburg, hat sich auch äußerlich kaum etwas geändert. Und wenn man so einen Fürsten und das deutsche Volk sieht, begreift man die ganze Fülle des schönen Stoßseufzers: »Ach, der arme Hund! Er muß den ganzen Tag den Blinden führen –!«
Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 01.06.1926, Nr. 22, S. 866.