Wehrmacht und Sozialdemokratie
»Unser Regiment ergänzt sich aus der untern Milltärgrenze – da hats nie Sozialdemokraten und dergleichen gegeben.
Eines Tages im Herbst aber, als eben die neuen Rekruten eingerückt waren, kam Leutnant Franzl purpurn erregt in die Menage und rief:
›Denkts euch – ich hab an Sozialisten.‹ ›Was du nicht sagst!‹ antwortete alles wie aus einem Mund.
›Ja. Aber es scheint ein ganz gutartiger zu sein – ich hab ihn probiert, mitm Säbel in Hintern zu pieken – er hat nichts dergleichen getan.‹«
Roda Roda
In der deutschen Sozialdemokratie gibt es solche und solche. Aber dann gibt es auch noch sone – und das sind die Allerlustigsten.
Da hätten wir in Kiel den Abgeordneten Eggerstedt, der in der Kieler Volkszeitung, die von Arbeitergroschen lebt, was tut –? Nun natürlich: er tut Heer und Flotte retten, denn was täte uns im Augenblick nöter! Man höre:
»Dem Wesen der Sozialdemokratie entspricht der Gedanke der Wehrhaftmachung des Volkes.«
Das ist nicht wahr. Der Eggerstedtschen vielleicht; die Partei hat vor dem Kriege in Theorie und Praxis hundertmal bewährt, dass sie wohl gewußt hat, was das Heer ist: ein Instrument in den Händen der herrschenden Klasse zur Führung von kapitalistischen Wirtschaftskriegen und zur Unterdrückung des »inneren Feindes«. Es heißt das Andenken an die Sozialdemokratin Rosa Luxemburg schänden, wollte man das umlügen.
Der Kieler macht das so: Er verlegt die Betonung des berühmten Satzes: »Diesem System keinen Mann und keinen Groschen« auf das Wort »diesem« – so dass die frühere grundsätzliche Verweigerung der Heereskredite im Reichstag nun den Anschein hat, als habe sie sich wirklich nur gegen die »Auswüchse« gerichtet. Was eine geschichtliche Unwahrheit ist. Und er tut das, um die ungeheure Schuld der Sozialdemokratie im Jahre 1914 in ein Verdienst umzufälschen. Aber diese vom Revisionismus, Kleinbürgertum, Parlamentsaberglauben unterhöhlte Partei war eben umgekippt, weil sie historisch nicht reif war, weil sie die Stunde nicht erkannte. Dieser Politiker argumentiert wie ein Kind.
»Nach dem Kapp-Putsch hätte die Forderung ›Abschaffung der Marine‹ einen Sinn gehabt, denn wir hätten diese Forderung wahrscheinlich durchsetzen können. Heute können wir zwar die Forderung erheben, wenn wir nicht grade in der Regierung sind, aber durchsetzen können wir sie nicht.«
Also: damals haben wir gekniffen, weil Friedrich Eben die Partei auf das unheilvollste beeinflußte, darum haben wir gekuscht. Seither war nie wieder so ein günstiger Moment da. Heute schweigen wir aber, denn wir könnens nicht durchsetzen. Ich glaube, so etwas nennt sich »Realpolitik«. Man beachte die schöne Wendung: »Wenn wir nicht grade in der Regierung sind.« Denn wenn wir in der Regierung sind, dann ist überhaupt alles aus, und unsere Wähler haben zu warten, bis wir das ihnen versprochene Programm vertreten. Und da können sie lange warten.
Sind aber nicht die Offiziere, wie sich hundertfach gezeigt hat, eine schwere Gefahr für die Republik?
»Bei aller äußern Disziplin wird es nicht gelingen, die Mannschaften, auf die es ankommt, völlig reaktionär zu infizieren.«
Das ist ein Trost. In Sachsen und Thüringen waren die Mannschaften, auf die es ankommt, ganz hübsch infiziert; es tut mir in der Seele weh, dass Herr Eggerstedt nicht einmal eine Nacht mit den Leuten zusammen verbracht hat: er mit dem Gesicht gegen die Wand und die andern mit einem Maschinengewehr dahinter. Vielleicht revidierte er dann seine Gedanken etwas. Aber das kann er nicht; denn er hat keine.
»Daß die Erneurungsbauten für die Marine keine herausfordernden Rüstungen bedeuten, dafür sorgt schon der Friedensvertrag, der uns Zahl und Art der Schiffe genau vorschreibt.«
Daß der Friedensvertrag dem deutschen Militarismus keine Gefahr wird, dafür sorgen schon das deutsche Richtertum und Herr Geßler, die diesem Vertrag, der Reichsgesetz ist, sagen wir, nicht sympathisch gegenüberstehn. Und nun enthüllt sich der Mann aus Kiel ganz.
»Daß dieser Gedanke der Wahrhaftmachung des Volkes feste Wurzeln geschlagen hat in den breitesten Schichten, beweisen ja auch der Rote Frontbund und vor allem das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Ohne den Gedanken der Erziehung zur Wehrhaftigkeit wäre das Reichsbanner seines Inhalts beraubt.«
Rührt euch! – Man sollte den Mann zum Gefreiten ernennen, für mehr wirds allerdings nicht reichen. Er will, wie sich zeigt, den »Sieg« des deutschen Volkes; er will sich nicht von andern Völkern an »die Wand drücken« lassen – und alles das haben wir schon einmal in unserm Leben gehört.
Das, genau das, ist Vokabularium, Lebensanschauung und Politik des Ausreißers Wilhelm und seines Untertans. Ganz abgesehen davon, dass der Rote Frontbund einen Gedanken vertritt, der gar nichts mit der »Wehrhaftigkeit des deutschen Volkes« zu tun hat; dass das Reichsbanner Gott sei Dank trotz Hörsing heute noch zu großen Teilen pazifistisch gesinnt ist und klassenbewußte Mitglieder genug in seinen Reihen hat – ganz abgesehen davon: das ist der leicht angesäuselte Gefreite in der Kantine zu Kaisers Geburtstag, der das Bierglas auf den Tisch haut und Frankreich besiegt. Und so wird eben gute Politik nicht gemacht.
Die ökonomische Einsicht dieses Kieler Abgeordneten steht ungefähr auf der Stufe einer mittelmäßigen Quartanerbildung. Nichts stimmt: weder trägt ein militaristischer Sieg über andere Völker zur Gesundung des eigenen Landes bei (was sich an Frankreich deutlich zeigt) – noch hat der deutsche Arbeiter irgend etwas von einem deutschen Sieg. Ich bin von der persönlichen Sauberkeit dieses Arbeitervertreters überzeugt, der Mann bezieht sicherlich keine Tantiemen von einem schwerindustriellen Werk. Er macht dessen Arbeit ganz umsonst. Die schlechten Wirkungen eines mäßigen Wissens, die fanatische Dummheit des deutschen Kleinbürgerhirns, das die großen Zusammenhänge der Welt nicht erkennt, das nicht weiß, wie der Proletarier sich für die Interessen der Rüstungsindustrie, für Petroleumaktien, für Unternehmerzölle unter den gemeinsten Bedingungen töten und verstümmeln läßt – alles das macht solchen Menschen zu einer Gefahr für seine Klasse. Und eben weil die Generation, die das mitgemacht hat, nicht noch einmal in den Lehm gehen wird, – als einzige Belohnung den Titel »Helden« im Maul von Generälen und im Kino nach Hause tragend, zu Muttern zurückgekehrt: mit einem Bein weniger und mit einem Blechorden mehr, beschimpft, mißhandelt, betrogen, verachtet von den Telefongenerälen und den Zahlmeistern, von den Ärzten und den verhinderten Unteroffizieren, wie Herr Eggerstedt einer ist –: eben deswegen versuchts dieser Kleinbürger mit der jungen Generation. Wenn die Verstand hat, lacht sie ihm ins Gesicht. Und lehnt diese Politik ab.
Eine Politik, die immer nur Mißerfolg gehabt hat. In den Novembertagen 1918 zitterte eine einst mächtige Kaste um Pension, Leben und Eigentum; nach dem Kapp-Putsch noch einmal. Sie hatte die Gegner überschätzt. Sie hatte geglaubt, diese Gegner würden genauso mit ihr umgehen, wie sie es – umgekehrt – mit den Sozialisten getan hätte. Sie konnte aufatmen.
Denn unter den Gegnern stand an erster Stelle der deutsche Michel. Er hatte sich einen roten Bommel auf die Zipfelmütze genäht, sah sich alle paar Minuten erschreckt um, ob auch kein Vorgesetzter in der Nähe wäre, und stand vor jedem Spiegel, an dem er vorbeikam, stramm. Inzwischen bekam er was auf den Kopf, wurde eingewickelt von oben bis unten, die Taschen hängen ihm jetzt leer heraus, und was seine Unterhosen betrifft, so sollen sie die Fürsten haben. Das Ganze aber wird begleitet von frommen Reden und Leitartikeln, wie sie sich dieser »Sozialdemokrat« leistet, der nicht weiß und nicht wissen kann, wie er selbst ein ausgezeichnetes Beispiel für die geisttötende militärische Erziehung seiner Generation ist. So war sie – so hat sie uns in den Krieg geführt.
Wir andern lassen den da stehn, Gott segne ihn, er darf seinen Offizieren weiter die Stiefel putzen und ihnen einen Schnaps holen. Der deutsche, klassenbewußte Arbeiter aber bleibt dabei:
Diesem Heer keinen Mann und keinen Groschen –!
Ignaz Wrobel
Das Andere Deutschland, 10.04.1926.