Das Reichsarchiv
Hier ist schon öfters Gelegenheit genommen worden, vor der Tätigkeit des Reichsarchivs zu warnen, und die Abgeordneten, die statt in Lehrbüchern der Taktik lieber im Budget lesen sollten, werden nochmals darauf aufmerksam gemacht, was da für das Geld der Republik getrieben wird. Die ehemaligen Offiziere, die dort wirken, treiben eine kriegshetzerische und anti-kulturelle Propaganda bösester Art. Herr Obkircher, einer der Oberarchivräte, verherrlicht in der »Deutschen Zeitung« offen den Krieg, zu dessen neutraler Geschichtsschreibung er angestellt ist, freut sich, daß wieder kriegerische Spielsachen gekauft werden, und lobt die Käufer offizieller Regimentsgeschichten, die selbstverständlich, da sie vom Leiden des gemeinen Mannes im Kriege überhaupt nicht sprechen, keinen Pfifferling wert sind. Man kann sich denken, wie die Geschichtsschreibung dieses Archivs aussieht, das, in seiner jetzigen Personalzusammensetzung und Arbeitsart, eine einzige schädliche Überflüssigkeit darstellt.
Es gibt zwei Möglichkeiten für solch ein Archiv: Entweder es beschränkt sich auf die Sammlung von Fakten und bemüht sich, so etwas wie tendenzlos zu sein, was es kaum gibt. Immerhin wäre eine rein militärwissenschaftliche und historische Sammlung von Briefen, Aktenstücken, Kartenmaterial und Bildern ohne jedes Ansehen der Tendenz denkbar.
Oder das Archiv nimmt Stellung – dann hat es zum mindesten die Pflicht, wenn es schon nicht republikanisch und pazifistisch arbeiten will, für die Verbreitung der beiden großen entgegengesetzten Tendenzen zu sorgen: der militaristischen und der antimilitaristischen. Es wäre durchaus denkbar, dass ein solches überparteiliches Archiv Kenntnis von beiden gibt, bewußt die Tendenzen unterstreicht und mitteilt: So urteilen darüber die Offiziere, Söhne aus industriellen Familien; so urteilen in ihren Feldpostbriefen sozialdemokratische Arbeiter; so urteilt ein politisch indifferenter Stabsarzt.
Aber eine militaristische, zum Kriege hetzende, antipazifistische Tendenz als Reichsgesinnung auszurufen, ist eine Fälschung dieser Gesinnung, stellt einen Mißbrauch von amtlichen Akten dar und unterdrückt die Meinung von Millionen Menschen, die den Krieg von einer andern Seite kennen als von der des Stabskasinos. Diese Menschen haben das Recht, gehört zu werden, ihre Witwen, ihre Waisen und die Generation derer, die in der Herausgabe von Regimentsgeschichten die niedrige Erinnerung an eine widerwärtige Abdeckerei erblicken, für die wiederum durch Lüge, Fahnen und Betrug neue Opfer gesucht werden.
Die Abgeordneten sollten das Budget des Reichsarchivs in seiner jetzigen Zusammensetzung streichen.
Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 16.02.1926, Nr. 7, S. 273.