Siegfried Jacobsohn ✟
Siegfried Jacobsohn ist nicht mehr.
Eine zweiundzwanzigjährige Arbeit ist da unterbrochen, wo der Arbeiter zu ernten begann – ein schmerzloser Tod hat ihn genommen. Er ist nicht ganz sechsundvierzig Jahre alt geworden.
Was er hier aufgebaut hat, lebt; sein Verstand, sein Gefühl, sein Lachen rauschten durch diese Seiten. Dies Blatt war sein Geschöpf, sein lebendiges Geschöpf.
Ihm ganz allein verdanken wir, was er uns hinterlassen hat: Tag für Tag, Heft für Heft hat er sein Erbe errichtet, und weil es schön gewesen ist, ist es Mühe und Arbeit gewesen. Das artistische Feingefühl, mit dem er sein Theater ansah, saß ihm in den Fingerspitzen: so wie ein großer Direktor seine Schauspieler liebte er die Menschen, zog sie zu sich heran und formte aus ihnen ihr eigenes Ideal: ein unermüdlicher Menschen-Regisseur.
Wir alle, die wir unter seiner Führung gegen dieses Militär, gegen diese Richter und gegen diese Reaktion gekämpft haben, kennen seinen tiefsten Herzenswunsch: die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit Mozarts, die Wahrheit Schopenhauers, die Wahrheit Tolstois – inmitten einer Welt von Widersachern: die Wahrheit.
Jeder andre hat geschwiegen, wo er in den letzten Jahren sprechen ließ, viele haben Reklame blasen lassen, wo er schweigend vorüberging; er kannte in der Politik und in der Kunst keine Furcht.
Er hat uns, Mitarbeiter und Leser, zu seinem Werke bekehrt; er liebte, wie wir, Deutschland und wußte, dass dessen schlimmste Feinde nicht jenseits, sondern diesseits des Rheines wohnen.
Siegfried Jacobsohns Arbeit soll nicht umsonst gewesen sein. Organisches Leben zieht Leben an – es soll nicht untergehn.
Gib deine Waffen weiter, S. J. –!
Kurt Tucholsky
Die Weltbühne, 07.12.1926, Nr. 49, S. 873.