Der General in der Comédie
Als ich hinkam, standen mehr Schutzleute da als Theaterbesucher, und alles drängte sich im grauen Abendregen um ein geklebtes Plakat, dicht am Denkmal von Musset: das Stück war abgesagt! An Stelle des Stückes wird heute abend ›Hernani‹ gespielt. Und hundert Trillerpfeifen sanken enttäuscht in schwarze Manteltaschen. Da stand die patriotische Jugend von Paris und war ihres schönsten Vorrechts beraubt: Skandal zu machen, Skandal in der Comédie Française!
Das Stück hieß ›La Carcasse‹, das Gerippe – und war von den Herren Denys Amiel und André Obey, die nicht zum ersten Mal zusammengearbeitet hatten. Sie haben gemeinsam schon ›La souriante Madame Beudet‹ gegeben, und von Amiel allein kenne ich einen entzückenden Akt ›Café-Tabac‹, der eine kleine Kneipe auf die Bühne setzt und so nebenbei ganz Paris. Die Autoren haben einen guten Ruf – aber dieses Mal haben sie in den Mostrichtopf gegriffen. Ein General wird in diesem Stück lächerlich gemacht!
Durch die pariser Kritik ging bereits am Tag nach der Generalprobe ein düsteres Raunen. Rechts räusperte man sich bereits, und die ältesten Knacker bewegten ihre Federn im Takt des Gassenschlagers ›La Trompette‹; die Wut der Wilden, denen ein Vorübergehender ein Manoli-Plakat auf den Vitzliputzli geklebt hatte, entlud sich in ärgerlichen Kritiken, die zunächst so halb und halb literarisch blieben. Die Premiere stieg, das Stück ging so lala durch, und die Herren, die ihre Theaterkritik wöchentlich schreiben, waren noch nicht so weit.
Inzwischen erschienen die maßvoll tadelnden Kritiken der Kanonen, die feinen Leute begannen sich zu regen – es kam der Donnerstag, und mit ihm die erste Abonnementsvorstellung. Seit dem ›Tombeau sous l' Arc de Triomphe‹ war so ein Spektakel nicht dagewesen, von des seligen Bernstein Zeiten gar nicht zu sprechen. Die Leute zischten, machten »Huhu –«, und einer stand im Parkett auf und hielt dem Darsteller des Generals, Herrn de Feraudy, eine schöngesetzte Rede: man dürfe nicht und solle nicht und könne nicht … Huhu – die Abonnenten waren bessere Leute, hatten gedient und dienen lassen und wußten, was sich gehört. Und nun gings los.
Pujo von der ›Action Française‹ war an diesem Abend im Theater gewesen, man hatte ihn bemerkt, und schon sprach sichs herum: eine Manifestation, eine Manifestation! Zu früh. Die sollte erst kommen. Und worum handelte sichs denn nun?
Die Komödie der beiden Autoren ist ein Stück braver Sittenschilderung. Ein General, bereits zu Beginn des Krieges pensioniert – ›limogé‹ der französische Fachausdruck –, ist ein Schuft. Vorsichtshalber hatten ihn die Dichter zu einem ›général d'habillement‹ gemacht, was es nicht gibt – es gibt zwar Kammerunteroffiziere, aber keine Kammergenerale. Dieser General also, der Hund, hat nicht nur einen Sohn, der Kavallerie-Unteroffizier und keineswegs brav ist, sondern auch eine Frau mit Liebhabern, von denen er ein bißchen lebt. Jener Sohn macht eine Unterschlagung in der Schwadronskasse und nimmt sich das Leben. Spielschulden. Große Szene: wie soll man dem Alten das beibringen? Die Köchin, die das Telegramm hat, wagts nicht abzugeben; der Bürgermeister der kleinen Stadt schickt einen Stadtrat, der will kondolieren, erfährt, dass der General noch von gar nichts weiß, redet hin und redet her … Schließlich versteht ihn Seine Exzellenz miß, deutet den offiziellen Besuch falsch und sagt etwas unvermittelt: »Ja, ich werde betrogen, und ich weiß es.« Und dann ist das Stück, sanft verkluckernd, aus … Etwas dünn.
Desto dicker war der Hallo. Man sollte nicht glauben, in wie gutem Geruch Generale stehn, die offenbar keine untern Extremitäten, keine leichtfertigen Frauen, keine bösen Söhne haben … Die vernünftigen unter den Kritikern brachten zunächst nur ein Argument vor, über das man immerhin diskutieren kann: das Stück eigne sich nicht für ein Staatstheater. Schön. Selbst Herr Antoine, der heute Theaterkritiker der ›Information‹ ist, war dieser Meinung – hatte er seine große Vergangenheit vergessen? Man vergißt das manchmal. Daß Clément Vautel, der Sechser-Feuilletonist, dabei war, versteht sich – und auch der alte General Castelnau im ›Echo de Paris‹ blies in die Trompete und knackte mit den rostigen Gelenken. Diese wildere Gattung begnügte sich nicht mit zahmen Argumenten.
Generale tun so etwas nicht. Generale sind Frankreichs Stolz. Generale haben, sind und können alles. Was sollen die Fremden von uns denken! Das ist der Beginn des Bolschewismus. Die Respektlosigkeit der untern Klassen … und was man so nach dem Abendbrot zu sagen pflegt.
Einige schrieben, man dürfe nicht »generalisieren« was in diesem Zusammenhang besonders lustig wirkt; manche schlugen den Dichtern vor, dieses Fabelwesen an Scheußlichkeit doch einen anonymen Beruf ergreifen zu lassen, und einer machte sogar das Angebot, den Kerl zum Senator zu ernennen, dann sei das Land gerettet. Im übrigen: die feindliche Propaganda wird sich des Stückes bemächtigen. Wir kennen diese Musik.
Umsonst wandte der eine Verfasser, Amiel, ein, dass Dichter immerhin das Recht hätten, sich ihr Milieu auszusuchen; dass dies kein Angriff gegen das Militär sei; dass die Notare bei Becques ›Raben‹, die Beamten bei der ›Roten Robe‹, die Ärzte bei ›Knock‹ von Romains ja auch nicht protestiert hätten … Umsonst. Ein General, ein General –!
Was Herr Desjardins, ein Abgeordneter aus dem Aisne-Departement, in der Kammer auf sagte, bewies die Vorzüglichkeit seiner Schulbildung sowie seinen Umgang in bessern Kreisen. »Cette pièce est une offense à la famille, à la dignité de chacun … « Ablehnung seines Antrags, das Stück abzusetzen, mit 380 gegen 170 Stimmen. Der Unterrichtsminister, Herr Lamoureux, sagte, er pflichte der Entscheidung seines Vorgängers Delbos, der das Stück erlaubt habe, bei. Aus.
Aber noch lange nicht in den Zeitungen. Am unverhülltesten drohte die ›Action Française‹. Nach dem richtigen Satz: »Es gibt keinen Standpunkt, der nur und ausschließlich literarisch wäre«, nach der Beschimpfung: »Es war vielleicht ein republikanischer General« (da gehts auf einmal!), nach dem Hinweis auf den guten Musterschüler Bernstein, bei dem immer alles so fein zugehe, auch wenns nicht fein zugehe – danach kam am Sonntag morgen die Drohung: »Maintenant, ils sont prévenus … das Stück zurückziehen, sonst … die Comédie Française zum Schlachtfeld … « Die Parole war gegeben.
Sonntag abend sollte die Aufführung sein. Sonntag mittag um halb zwei telefonierte Herr Amiel den Generalverwalter des Staatstheaters an: Das Stück wird zurückgezogen. Nachmittags Interpellation in der Kammer: Laßt ihr euch das gefallen? Antwort vom Regierungstisch: »Ja … wie es so manchmal zugeht im menschlichen Leben … selbst die Autoren wollen nicht … « Abends allerseits große Enttäuschung, das Eintrittsgeld wird zurückgezahlt, die Jeunesses Patriotes, die der Comédie schon einen gepfefferten Drohbrief geschrieben hatten, schoben ab. Sieg oder Platz?
Ich kann im Schlaf (nur im Schlaf) aufsagen, was bei uns darüber geschrieben werden wird. »Herr Wrobel ist mit seinen geliebten Franzosen nicht zufrieden: ein Zeichen, dass sich auch in Frankreich der Wille zur Nation zu regen beginnt, der ja dort stets … « Gute Nacht. Aber ich will euch mal was sagen.
In meinem Leben habe ich noch nicht gehört, dass Pazifisten ein Stück mit allen Mitteln boykottiert haben, wenn telefonierende Menschenschlächter darin belobt werden; wenn die ekelhafteste Manier, Menschen in den Tod zu schinden, besungen wird; wenn der Friede bespien und die Menschlichkeit mit Kommiß-Stiefeln zertrampelt werden. Da ist kaum einer da. Kein Kino, kein Theater hat Angst vor euch – weil ihr eure Macht nicht ausnutzt. Nicht eine Zeitung, die vor acht Briefen an den Verleger erzittert, kennt euch – wer je Redaktionspost gelesen hat, weiß, dass es immer die Generale, die Feldwebelleutnants, die Säbelträger sind, die ein Blatt wirklich abbestellen, ihm die Inserate entziehen, es wirtschaftlich schädigen, wo sie nur können. Die andern –? Wo sind die andern –?
Daß das Militärpack Mitläufer hat, Mitesser des Ruhms, ist bekannt. Daß sie ihm Beihilfe leisten, nicht minder. Militärfromme Justizräte, brave Bürgerväter, die lieber den Tod dreier Söhne als eine Kapitalzusatzsteuer verschmerzen, gute Gefreite im Herrn – das wackelt alles hinterher. Und entdeckt seinen Takt des Herzens, wenn unsereiner den Krieg das nennt, was er ist: eine Schweinerei. Man darf doch nicht generalisieren … Vielleicht ist das in der Charge zu hoch gegriffen. Aber ich weiß, was man darf.
Man darf den Militärbonzen aller Länder ihren Stand und ihre Fahnen um die Ohren schlagen, dass ihnen der Lesebuchruhm zu den Ohren herausspritzt; man darf sich ausbitten, dass auf einer Bühne, die wir bezahlen, in einer Zeitung, die wir bezahlen, vom Krieg mit jenem Abscheu und jenem Grauen gesprochen wird, wie sich das gebührt, wenn von einem Massenverbrechen die Rede ist; und man darf nicht nur alles boykottieren, was den Krieg anpreist wie eine Badekur, sondern es ist unsre Pflicht, das zu tun.
Da liefen sie auseinander, die hoffnungsvollen Knaben der guten Gesellschaft und solche, die es werden wollen. Die Schutzleute zerstreuten sich, drin rollten sie ›Hernani‹ herunter, die Kasse buchte und raschelte mit den Francscheinen, und ich sah den Demonstranten nach, die es heute abend nicht geworden waren. Ich sah ihnen nach und beneidete eine Bewegung, die über Fäuste verfügt, wenns not tut, über Lungen, die brüllen, und über Arme, die zuschlagen. Und die uns zwingen wollen, für sie Kinder in den Tod zu schicken, die weiter kein Verbrechen begangen haben, als einen braunen oder grünen Paß zu besitzen. Ich sah ihnen nach und verstand, was uns fehlt.
Die Soldaten des Friedens.
Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 04.05.1926, Nr. 18, S. 703.