Die Kokainschachtel
Neulich begab sich in einem pariser Kabarett diese Szene:
Eintritt die ›poule de luxe‹ – was gewiß nicht ›Luxushuhn‹ heißt; übersetzen Sie bitte: ›eine feine Dame, die keine feine Dame ist‹. Sie hat einen Smoking an, eine viel zu kurze Figur und ist von ärmlicher Eleganz. Weil sie aber mannequinhaft wedelt, darf sie als verderbt gelten. Sie ist es auch – denn man hat sie übernächtigt, und wir werden gleich sehen, was das für eine ist.
Denn sieh, dort naht, fröhlich singend, und durchaus blond: ›la Française moyenne‹ – die Durchschnittsfranzösin, deutsche Varietés nennen das: ›ein echtes deutsches Weib‹. Die beiden stoßen heftig, aber liebenswürdig aufeinander.
»Ja, ich bin immer vergnügt«, sagt die Französin etwa, »ich bin meinem Mann treu, ich habe nur den einen, ich sorge für die Wirtschaft, ich fühle mich wohl dabei, früh gehe ich ins Bettchen, früh stehe ich wieder auf, ich bin Johanna, die muntere Seifensiederin!« –
Die ›poule de luxe‹ aber, was tut dieses lasterhafte Weib? Sie zieht verächtlich die schön geschwungenen Mundwinkel herunter, wie ein Portokassenjüngling, wenn er Sekt trinkt – zieht sie herunter und aus der Tasche des verderbten Smokings: was –?
Eine Prise Kokain. Das Luder schnupft.
Aber sie schnupft aus einer kleinen Pappschachtel, und das fand ich rührend und nett. Da, wo ich her bin, da haben die bessern Damen, die etwas auf sich halten, kleine Emailledöschen, und zum Schnupfen bedienen sie sich eines kleinen goldenen Ohrlöffelchens, damit schaufeln sie den weißen Staub in die Nase. Emaille und Gold – unter dem tun sies nicht.
Und diese Verderbte hier hatte eine Pappschachtel, und mir fiel ein, wie der berliner Schauspieler Schroth einst, bei den Rotters, einen falschen Kavalier zu spielen hatte, und als er Zigaretten zu rauchen anbot, tat er das aus einer Papierdüte –! Da war ein Rauschen durchs Parkett gegangen, und alle Welt war sich einig gewesen: Der Kerl hat nicht einmal ein goldenes Zigarettenetui – das kann kein feiner Mann sein –! Hat man je gehört, dass Kokain aus einer Pappschachtel geschnupft wird –?
Aber so ist es oft im menschlichen Leben:
Die einen glauben von den andern, sie hätten Mäuse im Keller; doch wenn sie sich in ihren eigenen bemühen wollten: da quiekt es nicht schlecht. Aber wer wird denn in seinen eigenen Keller gehen –!
Peter Panter
Vossische Zeitung, 22.09.1926.