Studio des Ursulines
Wer Paris besucht, sollte nicht versäumen, sich das kleine Kino in der rue des Ursulines anzusehen. Er wird da immer neue und merkwürdig interessante Filme finden. Es ist sozusagen ein ein cinéma d'avantgarde.
In dieser Woche gab es zum Beispiel ›Faits divers‹, einen französischen Film von Claude Autant-Lara, ein immerhin eigentümliches Experiment. Da war ein an sich banales Eifersuchtsdreieck zu sehen, aber in neuartigen Ausschnitten (der Film ist übrigens schon zwei Jahre alt). Man sah Gesichtsteile, das Arbeiten eines verzweifelten Mundes, das Spiel der Hände, wenn einer zweifelte, verwandelte er sich in zwei Personen, dazwischen Wasser und Sonne als stimmungtönende Faktoren – kurz: viel Literatur, noch mehr Symbol, und das Ganze wirkte wie ein altbackner Napfkuchen in einer Kubistenkiste. Aber immerhin mußte man unaufhörlich zusehen.
Dann gab es, wie immer, eine Wochenschau aus dem Jahre 1910 – und die hatte allerdings einen tollen Heiterkeitserfolg. Es war aber auch zu schön: die Moden in Auteuil (Riesenfederhüte, lange Kleider, kleine Fräckchen der Damen) – die alten Minister, darunter auch der jetzige Präsident, Herr Doumergue, der schon vor sechzehn Jahren so freundlich lächeln konnte wie heute – auch trat ein uns bekannter uniformierter Herr auf und nahm eine Parade in Bonn oder sonstwo ab, und weil der Film etwas rasch lief und die Soldatenbeine strampelten, gab es leise Pfiffe, die aber rasch erstickten. Der Skandal kam erst viel später.
Es war nämlich der in Deutschland schon bekannte ›absolute‹ Film des Malers Ruttmann auf dem Lichtspielplan – und dazu gab es gratis einen herrlichen Radau. Es ist nicht zu glauben, wie einfache Linien und Farbflecke, Spiralen und drehende Kreise eine Menschenmenge so zum Überkochen bringen können. Die Leute pfiffen und sangen und schrien, manchmal fragte einer: »Est-ce qu'il y a quelqu'un qui comprend?« und dann antworteten wieder die andern; »Wer das nicht versteht, braucht ja nur hinzusehen!« und so ging das unter mächtigem Krach eine schöne Viertelstunde. Ohrfeigen waren nicht gefragt, Hinauswürfe unter Pari. Besonders herzlich und dumm lachten die anwesenden Damen – und die allgemeine gute Laune kam erst wieder, als ein alter Verbrecherfilm gezeigt wurde, in der der alles verloren habende Spieler in Monte Carlo mit einem zu kleinen Hut und wilden Gesten ans Meer stürzt und dort – halt dir feste! – einen Mann in weißen Hosen niederknallt. Das Verbrechen wird aber entdeckt, als der böse Mann ein herzinniges Mädchen als Braut umärmelt. Die Leute lachten Tränen, und man sollte auch in Berlin einen alten Herzenswunsch von mir erfüllen: alte Filme zu geben. Das ist eine Kurzweil von zehn Minuten, und die Direktoren werden sich die Hände reiben. Mehr wird bei Chaplin auch nicht gelacht.
Peter Panter
Vossische Zeitung, 16.05.1926.