§ 28. Repräsentanten der Begriffe. Die Urteilskraft
Mit dem Begriff ist, wie schon gesagt, das Phantasma überhaupt nicht zu verwechseln, als welches eine anschauliche und vollständige, also einzelne, jedoch nicht unmittelbar durch Eindruck auf die Sinne hervorgerufene, daher auch nicht zum Komplex der Erfahrung gehörige Vorstellung ist. Auch dann aber ist das Phantasma vom Begriff zu unterscheiden, wann es als Repräsentant eines Begriffs gebraucht wird. Dies geschieht wenn man die anschauliche Vorstellung, aus welcher der Begriff entsprungen ist, selbst, und zwar diesem entsprechend, haben will; was allemal unmöglich ist: denn z.B. von Hund überhaupt, Farbe überhaupt, Triangel überhaupt, Zahl überhaupt gibt es keine Vorstellung, kein diesen Begriffen entsprechendes Phantasma. Alsdann ruft man das Phantasma z.B. irgend eines Hundes hervor, der, als Vorstellung, durchweg bestimmt, d.h. von irgend einer Größe, bestimmter Form, Farbe u.s.w. sein muß, da doch der Begriff, dessen Repräsentant er ist, alle solche Bestimmungen nicht hat. Beim Gebrauch aber eines solchen Repräsentanten eines Begriffs ist man sich immer bewußt, dass er dem Begriff, den er repräsentiert, nicht adäquat, sondern voll willkürlicher Bestimmungen ist. In Übereinstimmung mit dem hier Gesagten äußert sich Hume in seinen essays on human understanding, ess. 12. pars 1 gegen das Ende; und ebenfalls Rousseau, sur l'originede l'inégalité, pars 1 in der Mitte. Etwas ganz Anderes hingegen lehrt darüber Kant, im Kapitel vom Schematismus der reinen Verstandesbegriffe. Nur innere Beobachtung und deutliches Besinnen kann die Sache entscheiden. Jeder untersuche demnach, ob er sich bei seinen Begriffen eines »Monogramms der reinen Einbildungskraft a priori«, z.B. wenn er Hund denkt, so etwas entre chien et loup, bewußt ist, oder ob er, den hier aufgestellten Erklärungen gemäß, entweder einen Begriff durch die Vernunft denkt, oder irgend einen Repräsentanten des Begriffs, als vollendetes Bild, durch die Phantasie vorstellt.
Alles Denken, im weitem Sinne des Worts, also alle innere Geistestätigkeit überhaupt, bedarf entweder der Worte, oder der Phantasiebilder: ohne Eines von Beiden hat es keinen Anhalt. Aber Beide zugleich sind nicht erfordert; obwohl sie, zu gegenseitiger Unterstützung, ineinandergreifen können. Das Denken im engern Sinne, also das abstrakte, mit Hülfe der Worte vollzogene, ist nun entweder rein logisches Räsonnement, wo es dann gänzlich auf seinem eigenen Gebiete bleibt; oder es streift an die Gränze der anschaulichen Vorstellungen, um sich mit diesen auseinanderzusetzen, in der Absicht, das empirisch Gegebene und anschaulich Erfaßte mit deutlich gedachten abstrakten Begriffen in Verbindung zu bringen, um es so ganz zu besitzen. Es sucht also entweder zum gegebenen anschaulichen Fall den Begriff, oder die Regel, unter die er gehört; oder aber zum gegebenen Begriff, oder Regel, den Fall, der sie belegt. In dieser Eigenschaft ist es Tätigkeit der Urteilskraft, und zwar (nach Kants Einteilung) im erstern Falle reflektierende, im andern subsumierende. Die Urteilskraft ist demnach die Vermittlerin zwischen der anschauenden und der abstrakten Erkenntnißart, oder zwischen Verstand und Vernunft. Bei den meisten Menschen ist sie nur rudimentarisch, oft sogar nur nominell, vorhanden:6 sie sind bestimmt, von Anderen geleitet zu werden. Man soll mit ihnen nicht mehr reden, als nötig ist.
Das mit Hülfe anschaulicher Vorstellungen operierende Denken ist der eigentliche Kern aller Erkenntnis, indem es zurückgeht auf die Urquelle, auf die Grundlage aller Begriffe. Daher ist es der Erzeuger aller wahrhaft originellen Gedanken, aller ursprünglichen Grundansichten und aller Erfindungen, so fern bei diesen nicht der Zufall das Beste getan hat. Bei demselben ist der Verstand vorwaltend tätig, wie bei jenem ersteren, rein abstrakten, die Vernunft. Ihm gehören gewisse Gedanken an, die lange im Kopfe herumziehn, gehn und kommen, sich bald in diese, bald in jene Anschauung kleiden, bis sie endlich, zur Deutlichkeit gelangend, sich in Begriffen fixiren und Worte finden. Ja, es gibt deren, welche sie nie finden; und leider sind dies die besten: quae voce meliora sunt, wie Apulejus sagt.
Aber Aristoteles ist zu weit gegangen, indem er meinte, dass kein Denken ohne Phantasiebilder vor sich gehn könne. Seine Äußerungen hierüber, in den Büchern de anima III, c. c. 3, 7, 8 wie oudepote noei aneu phantasmatos hê psychê (anima sine phantasmate nunquam intelligit), und hotan theôrê, anankê hama phantasma ti theôrein (qui contemplatur, necesse est, una cum phantasmate contempletur), desgleichen de memoria c. I, noein ouk estin aneu phantasmatos (fieri non potest, ut sine phantasmate quidquam intelligatur), — haben jedoch viel Eindruck gemacht auf die Denker des 15. und 16. Jahrhunderts, von welchen sie daher öfter und mit Nachdruck wiederholt werden: so z.B. sagt Picus de Mirandula, de imaginatione c. 5: Necesse est, eum, qui ratiocinatur et intelligit, phantasmata speculari; — Melanchthon, de anima, p. 130, sagt: oportet intelligentem phantasmata speculari; — und Jord. Brunus, de compositione imaginum, p. 10, sagt: dicit Aristoteles: oportet scire volentem, phantasmata speculari. Auch Pomponatius, de immortalitate, p. 54 et 70, äußert sich in diesem Sinn. — Nur so viel läßt sich behaupten, dass jede wahre und ursprüngliche Erkenntnis, auch jedes ächte Philosophem, zu ihrem innersten Kern, oder ihrer Wurzel, irgend eine anschauliche Auffassung haben muß. Diese, obgleich ein Momentanes und Einheitliches, teilt nachmals der ganzen Auseinandersetzung, sei sie auch noch so ausführlich, Geist und Leben mit, — wie ein Tropfen des rechten Reagens der ganzen Auflösung die Farbe des bewirkten Niederschlags. Hat die Auseinandersetzung einen solchen Kern; so gleicht sie der Note einer Bank, die Kontanten in Kasse hat: jede andere, aus bloßen Begriffskombinationen entsprungene hingegen ist wie die Note einer Bank, die zur Sicherheit wieder nur andere, verpflichtende Papiere hinterlegt hat. Jedes bloß rein vernünftige Gerede ist so eine Verdeutlichung Dessen, was aus gegebenen Begriffen folgt, fördert daher eigentlich nichts Neues zu Tage, könnte also Jedem selbst zu machen überlassen bleiben, statt dass man täglich ganze Bücher damit füllt.