Die dritte Dimension


Das Dritte, wodurch der Verstand die Empfindung in Anschauung umarbeitet, ist, dass er aus den bis hieher gewonnenen bloßen Flächen Körper konstruiert, also die dritte Dimension hinzufügt, indem er die Ausdehnung der Körper in derselben, in dem ihm a priori bewußten Raume, nach Maaßgabe der Art ihrer Einwirkung auf das Auge und der Gradationen des Lichtes und Schattens, kausal beurteilt. Während nämlich die Objekte den Raum in allen dreien Dimensionen füllen, können sie auf das Auge nur mit zweien wirken: die Empfindung beim Sehn ist, in Folge der Natur des Organes, bloß planimetrisch, nicht stereometrisch. Alles Stereometrische der Anschauung wird vom Verstande allererst hinzugetan: seine alleinigen Data hiezu sind die Richtung, in der das Auge den Eindruck erhält, die Gränzen desselben und die verschiedenen Abstufungen des Hellen und Dunkeln, welche unmittelbar auf ihre Ursachen deuten und wonach wir erkennen, ob wir z.B. eine Scheibe, oder eine Kugel vor uns haben. Auch diese Verstandesoperation wird, gleich den vorhergehenden, so unmittelbar und schnell vollzogen, dass von ihr nichts, als bloß das Resultat, ins Bewußtsein kommt. Daher eben ist die Projektionszeichnung eine so schwierige, nur nach mathematischen Prinzipien zu lösende Aufgabe und muß erst erlernt werden, obgleich sie nichts weiter zu leisten hat, als die Darstellung der Empfindung des Sehns, wie solche dieser dritten Verstandesoperation als Datum vorliegt, also des Sehns in seiner bloß planimetrischen Ausdehnung, zu deren allein gegebenen zwei Dimensionen, nebst den besagten Datis in ihnen, der Verstand alsbald die dritte hinzutut, sowohl beim Anblick der Zeichnung, wie bei dem der Realität. Eine solche Zeichnung ist nämlich eine Schrift, welche, gleich der gedruckten. Jeder lesen, hingegen Wenige schreiben können; weil eben unser anschauender Verstand die Wirkung bloß auffaßt, um aus ihr die Ursache zu konstruieren, sie selbst aber, über dieser, alsbald ganz außer Acht läßt. Daher erkennen wir z.B. einen Stuhl augenblicklich, in jeder ihm möglichen Stellung und Lage; aber ihn in irgend einer zu zeichnen ist Sache derjenigen Kunst, die von dieser dritten Verstandesoperation abstrahirt, um bloß die Data zu derselben dem Beschauer, zu eigener Vollziehung, vorzulegen. Dies ist, wie gesagt, zunächst die ProjektionsZeichnenkunst, dann aber, im Alles umfassenden Sinn, die Malerkunst. Das Bild liefert Linien, nach perspektivischen Regeln gezogen, helle und dunkle Stellen, nach Maaßgabe der Wirkung des Lichtes und Schattens, endliche Farbenflecke, in Qualität und Intension der Erfahrung abgelernt. Der Beschauer liest Dies ab, indem er zu gleichen Wirkungen die gewohnten Ursachen setzt. Die Kunst des Malers besteht darin, dass er die Data der Empfindung beim Sehn, wie sie vor dieser dritten Verstandesoperation sind, mit Besonnenheit festzuhalten weiß; während wir Anderen, sobald wir von ihnen den besagten Gebrauch gemacht haben, sie wegwerfen, ohne sie in unser Gedächtnis aufzunehmen. Wir werden die hier betrachtete dritte Verstandesoperation noch genauer kennen lernen, indem wir jetzt zu einer vierten übergehn, welche, als ihr sehr nahe verwandt, sie mit erläutert.


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