Nachdruck

Nachdruck. (Schöne Künste) Man schreibt den Mitteln, wodurch wir in anderen Vorstellungen oder Empfindungen erwecken, Nachdruck zu, wenn sie eine vorzügliche Kraft haben den Geist oder das Herz lebhaft anzugreifen. Wenn Cäsar dem Brutus, den er unter seinen Mördern gewahr wird, zuruft: .... auch du mein Sohn! so liegt ein großer Nachdruck in dieser Art der Anrede. Der Name Sohn, den er seinem Mörder gibt und der im griechischen noch zärtlicher klingt und selbst das sonst unbedeutende .aµ geben dieser Anrede ungemeine Kraft zur Rührung. Der Nachdruck liegt hier in vielbedeutenden Nebenbegriffen, die durch diese Art des Ausdrucks erweckt werden. Bisweilen entsteht er bloß aus dem Ton, welchen die Worte in dem mündlichen Vortrage bekommen. In der Musik ist der Ton richtig angegeben, der genau die Höhe hat, die er haben soll; nachdrücklich aber wird er, wenn er mit mehr Stärke oder Zärtlichkeit oder mit einer anderen, dem Ausdruck sehr angemessenen, Modification, bebend oder gestossen oder geschleift, mit sich hebender oder mit sinkender Stimme, angegeben wird. In der Malerei ist ein Gegenstand richtig ausgedrückt, wenn Zeichnung und Farbe so sind, dass er mit Leichtigkeit erkannt wird: nachdrücklich aber wird er, wenn wir durch Zeichnung oder Farbe ein besonderes Leben, eine besondere Kraft der Deutung an ihm gewahr werden.

Die Werke der Kunst müssen überhaupt das an sich haben, dass sie mit Nachdruck auf die Vorstellungskraft oder auf die Empfindung wirken und sie bekommen diese Kraft überhaupt durch die verschiedenen Arten des Ästhetischen, das darin liegt [s. Ästhetisch]. Aber von diesem allgemeinen Nachdruck ist hier nicht die Rede, sondern nur von dem, der einzelne Stellen vor anderen auszeichnet. Jeder Teil muss außer der Richtigkeit des Ausdrucks, auch das Gepräge des guten Geschmacks haben; aber Nachdruck muss nur auf die wesentlichsten Teile gelegt werden. Wer jedes Einzelne nachdrücklich machen will, wird im Ganzen gezwungen und ohne Nachdruck. So suchten die späten griechischen Rhetoren, auch einige römische Schriftsteller, die nach der goldenen Zeit des Geschmacks kamen, jedem einzelnen Gedanken eine schöne Wendung oder eine andere ästhetische Kraft zu geben, um überall nachdrücklich zu sein und eben dadurch wurden sie unnatürlich und sanken durch die Mittel, wodurch sie sich auf die Höhe ihrer Vorgänger schwingen wollten, tief unter dieselben herab. Auch in unserer deutschen Literatur zeigen sich schon hier und da Spuren dieses sinkenden Geschmacks: wir haben auch schon Schriftsteller, die in jeder einzelnen Redensart witzig oder nachdrücklich oder höchst empfindsam zu sein suchen und nicht bedenken, dass der Nachdruck im Einzelnen, eine Würze sei, die mit sparsamer Hand einzustreuen ist; weil aus bloßem Gewürze keine gesunde Speise kann gemacht werden.

Es gehört eine reife Beurteilung dazu, dass das Nachdrückliche nicht missbraucht, sondern nur auf die Stellen eines Werks gelegt werde, die ihrer Natur nach von vorzüglicher Wirkung sein sollen. Hierüber lassen sich keine Regeln geben; der Künstler muss sich entweder bewußt sein oder durch ein vorzüglich richtiges Gefühl in dem Feuer der Begeisterung selbst, empfinden, wo eine vorzügliche Kraft nötig sei. Die Mittel den Nachdruck zu erreichen sind sehr vielfältig und liegen bald in dem Gegenstand selbst, bald in dem Ausdruck desselben. Jede Art der ästhetischen Kraft kann den Nachdruck bewirken. Der Künstler dem es nicht an richtiger Urteilskraft fehlt, wird in jedem besonderen Fall eine gute Wahl derselben treffen. Der Dichter wird aus Betrachtung der Personen und der Umstände für die er dichtet, bald in der roheren, bald in der feineren Empfindung, jetzt in einem völlig natürlichen, denn in einem verfeinerten Ausdruck; einmal in einem wilden, ein andermal in einem gemäßigten Rhythmus; bald in kühnern, bald in bescheidenen Figuren und Tropen, den wahren Nachdruck zu finden wissen.

Ein neulicher Kunstrichter*) scheint zu bedauern, dass unsere Dichter nicht mehr so durchaus nachdrück lich sind, wie die alten Celtischen Barden gewesen. Er scheint zu wünschen, dass man jetzt noch so dichtete, wie die nordischen Barden vor zweitausend Jahren gedichtet haben. Aber er hat nicht bedacht, dass bei einem Volke, wo die Vernunft schon merklich entwickelt und die Empfindung verfeinert worden, nicht alles bloß rohes Gefühl sein könne und dass der Dichter in dem Geist seiner Zeit singen müsse. Jedermann wird gestehen, dass es für einen Irokese eine höchst reizende Sache sei, aus dem Hirnschädel seines Feindes starkes Getränk zu trinken und dabei wilde Siegeslieder anzustimmen, wo Ton, Rhythmus und Worte von der heftigsten Leidenschaft angegeben werden. Aber wir sind nicht Irokesen, unsere Krieger sollen nicht in die Wut gesetzt werden, das Blut der erschlagenen Feinde zu trinken oder ihr Fleisch zu braten. Die Schlüsse des Verfassers führen noch weiter als er selbst denkt, denn sie beweisen, dass die Dichter nicht singen, sondern brüllen und heulen müssten, wie der noch ganz wilde Mensch in der Leidenschaft wird getan haben. Denn ohne Zweifel ist das unartikulierte Heulen noch weit nachdrücklicher als die ausgesuchteste Klage in bedeutenden Worten. Es geht also gar nicht an, dass man sich zur Regel mache in den Künsten durchaus den größten Nachdruck zu suchen. Daraus würde folgen, dass man auf der Schaubühne bisweilen die Menschen lebendig schinden müsste; denn dieses wäre doch an sich betrachtet das nachdrücklichste Mittel Schrecken und Abscheu zu erwecken.

Der Nachdruck der in den Werken der redenden Künste und der Musik aus dem Vortrag entsteht, verdient ein besonderes Studium. Die kräftigsten Stellen können durch den Mangel des Nachdrucks im Vortrag schwach werden. Die Hauptkunst des guten Vortrages besteht in dem gehörigen Nachdruck durch den sich einige Teile vor anderen auszeichnen. Davon aber wird an einem anderen Orte besonders gesprochen werden [s. Vortrag].

 

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*) Der Verfasser der Briefe über den Oßian in dem Werk, das unter dem Titel von deutscher Art und Kunst in Hamburg herausgekommen ist.


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