Das Edelweiß
Hermann Bahr hat bekanntlich außer Adalbert Stifter, Maeterlinck, d'Annunzio, Hofmannsthal, dem Poldi und dem Barock auch den Dichter Franz Löser entdeckt und von diesem uns öfter erzählt, dass er »eine Theaterpratzen« habe, die er dem Anzengruber reichen kann und mit der er auch den »Jedermann« bearbeitet hat, zu dem Zwecke, dass Dorfkirchl zuschaue. Man soll einem Dichter, den Herr Bahr entdeckt hat, darum nicht unrecht tun. Wie Stifter nichts dafür kann, so wäre es ja immerhin möglich, dass auch ein Anfänger stärker ist als das Bedenken, das er zugleich mit der Begeisterung des Hermann Bahr geweckt hat. Nun habe ich kürzlich aus Salzburg, dessen Fremdenverkehr seit der Übersiedlung seiner größten Sehenswürdigkeit nachgelassen hat — während er sich in München hebt —, eine kolorierte Ansichtskarte erhalten, die »Das Edelweiß« betitelt ist und im Vordergrund einer Hochgebirgslandschaft, eines sogenannten Panoramas, ein Felsgestein zeigt, auf dem zwischen Edelweiß eine Infanteristenkappe gedeiht. Unterhalb der Vegetation findet sich das folgende Gedicht von Franz Löser, k. u. k. Inft. Rg. 59, geschrieben »im Schützengraben am 1. März 1915«. Der Dichter ist also gewiß ein armer Blumenteufel gewesen, den die Situation, in der er es schrieb, später wohl zu einer weniger zuversichtlichen Betrachtung der Dinge bewogen hat. Aber zum Beweis des unerschütterlichen Optimismus seines Entdeckers und zur Anschauung dessen, was er sich unter einem Volksdichter vorstellt, mag es aufbewahrt bleiben:
Auf hoher steiler Felsenwand, Daheim bei uns im Alpenland, Da, wo keck die Gemsen springen Und sich kühn die Adler schwingen, | | | Dort wächst ein Blümlein schön, Wie′n Stern ist′s anzuseh′n. Es ist ein stolzes Reis, Genannt: Das Edelweiß. |
| Auch stolz trägt es der Mann im Feld, Den′s Alpenreich dem Kaiser stellt. Zu treu′n Kämpfern hat′s uns gemacht, Den Tit′l Blumenteuf′l eingebracht. | |
Es ist zu hoffen, dass solange keck die Gemsen springen, sich kühn die Adler schwingen und wie immer auch da und dort die Blumenteuf'l singen, das Edelweiß unter keinem Tit'l mehr die Menschen zu treu'n Kämpfern machen und das Alpenreich dem Kaiser keinen einzigen Mann ins Feld stellen wird. Das walte Gott.
Juli 1922.