Warumva dient der Jude schnellerund mehr Jeld als der Christ


Die Wiener Hakenkreuzlerzeitung ist meine Sonntagsfreude, ich schau' immer nach, wie's mit den Schweißfüßen geht, bin aber auch schon zufrieden, wenn ich nur sehe, wie den analogen Versfüßen geholfen wird. Etwa in einem Trutzgesang unter dem Titel »§ 144«:

 

Einhundertvierundvierzig heißt

der Paragraph der Mutter,

an dem Begierde zerrt und reißt

und wütend, doch vergeblich, beißt...

Der Paragraph bleibt stehen,

mag Juda noch so krähen!

 

Die letzten Schranken möchten sie

dem Arier entreißen.

Doch nur gemach! Die Zeit kommt nie!

Trotz allem Schmutz- und Schweinevieh!

Eh' wird die Welt vergehen!

Der Paragraph bleibt stehen!

 

Für Leute, die in geiler Lust

den Zweck des Lebens sehen,

sollt' unser deutsches Volk sich stumm

entwickeln hin zum Dirnentum?

Im Sumpf zugrunde gehen?

— Der Paragraph bleibt stehen!

 

Heran, herbei, was deutscher Art!

Sie greifen nach der Mutter!

Gewehr bei Fuß! Wir halten Wacht!

Wir dulden diese Purimsnacht

niemals! Ihr sollt es sehen!

— Der Paragraph bleibt stehen!

 

Spationiert sind im Original nur »Purim«, »Mutter« und »Die«, aber Vollklang hat alles. Jede Zeile ein Ramsauer. Dass der § 144, der die deutsche Frau eine »Frauensperson« nennt, die letzte Schranke des Ariers vorstellt, ist der neue Gedanke. Offenbar ist gemeint, dass die Juden, die gar nicht daran denken, im Schoße der eigenen Familie Abtreibungen zu begehen, sondern fruchtbar sein und sich vermehren wollen, bloß nach der arischen Mutter greifen und den § 144 ausschließlich zur Verhinderung des bodenständigen Nachwuchses abschaffen möchten. Wenn er durch jüdische List fiele, so würden die Germaninnen offenbar gezwungen sein, keine Kinder zur Welt zu bringen, was Wodan verhüten möge. Nicht so klar ist der Zusammenhang der Purimsnacht mit der Agitation für die Aufhebung des § 144. Das Purimsfest dient dem Gedenken der Juden an die Rettung von ihrer durch Haman geplanten Vertilgung, während sie selbst doch durch die Abschaffung des § 144 die Vertilgung der Arier planen, so dass eigentlich diese, wenn ihnen dereinst mit Hilfe eines Mardochai und einer Thusnelda die Rettung gelingen sollte, ein diesbezügliches Purim feiern müßten. Wenn sie Gewehr bei Fuß halten, wird ja alles gut ausgehen, bis dahin mag getrost manch ein Trutzgesang mit einem mehr gemütlichen Liedchen abwechseln, wie etwa diesem:

 

»Mostschädl.«

(Oberösterreichisch.)

 

Der mih »Mostschädl« hoaßt,

Der beleidingt not mi.

Weil i wirklön, wias wißts,

A Mostschädl bi(n).

 

Wann a Most drinnat is,

Is a dena not lahr ..

I tauschat mit koan'

Wo a Stroh drinnat war'.

 

Was aber würde der Dichter (der übrigens die rührende Gewissenhaftigkeit hat, gerade das »bi« durch ein eingeklammertes n zu erläutern) was würde er für ein Gedicht machen, wenn ihn einer zufällig nicht Mostschädl, sondern Strohschädl genannt hätte? Ist dies nun die oberösterreichische Tonart, so scheint die folgende Annonce:

 

! Arier heraus !

 

Zur Gründung eines neuen

Unternehmens, neuzeitlich,

gewinnbringend, leichte Ar-

beit, Kapital zirka 100 Mil-

lionen, eventuell Gründung

einer Genossenschaft. Ra-

scher Entschluß, ehe

Jude vorgreift. Unter

»Massenartikel 1822« an die

Verw. d. Bl.

 

mehr Steirers letzten Versuch darzustellen. In den Rassenbelangen charakteristisch ist wohl die Furcht, dass Jude vorgreifen könnte. Es wird ja mit jedem Tag, den Odin die Sonne scheinen läßt, klarer, dass das germanische Ideal (wie auch das christlich-germanische) eine Verdrängung der jüdischen Schmutzkonkurrenz bedeutet. Bei meinem letzten Berliner Aufenthalt genoß ich in der Friedrichstraße eine Viertelstunde lang, ich konnte mich nicht satt hören, die Melodie, mit der ein unverfälscht germanisches Zeitungsweib den ›Fridericus‹ anbot: Die neieste Nummaa — warumva dient der Jude schnellerund mehr Jeld als der Christ« »Die neieste Nummaa — warumva dient der Jude schnellerund mehr Jeld als der Christ«. Nicht einen Groschen hat sie verdient, während sich daneben alles um ein Schweineblatt riß, das Enthüllungen über eine »Killekillekammer« brachte und über die Transvestiten im »Mikadoo (zu welchem Namen für ein Berliner Lokal mir die Erklärung »Aha — Mann darin!« einfiel). Nicht einen Groschen hat sie verdient, und als ich nach zwei Stunden wiederkam, bewegte sich noch immer ein Neidmaul, das zum Symbol ungestillter arischer Sehnsucht erstarrt war: »Warumva dient der Jude schnellerund mehr Jeld als der Christ«. Niemand begehrte es zu wissen, jeder nahm die Tatsache als gegeben hin und manche erkannten mitfühlend den Drang, der sich rasch entschließen möchte, ehe Jude vorgreift, nichts anderes will, als was dieser will, nämlich Geld verdienen, aber von der Natur durch jene Schranke gehindert ist, die die Juden dem Arier um alles in der Welt nicht entreißen möchten, durch den Stolz, der in den Worten des Dichters zum Ausdruck kommt:

 

Weil i wirklön, wias wißts,

A Mostschädl bi(n).

 

 

Dezember, 1924.


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