Unsichere Kantonisten
Wenn es sich bestätigen sollte, daß die Hohenzollern wegen Mißbrauchs des Asylrechts für vaterländische Putschzwecke aus Holland abgeschafft werden und in die Schweiz übersiedeln, dann sollte die Schweiz darüber nachdenken, ob die Habsburger nicht endlich nach Holland zu schicken wären. Mindestens aber müßte man dort den vielen geborstenen Säulen, die von verschwundner Pracht allzu lebhaft zeugen, erhöhte Aufmerksamkeit zuwenden, und wenn man schon Bedenken trägt, dem aussichtslosen Geschäft der Habsburger-Propaganda, aus dem sich alle möglichen Exdiplomaten, Exexzellenzen und aktiven Schmierer ihre Franken herausfetzen und das, wenn schon nicht die erstrebten Unruhen, hinreichend Unruhe bewirkt, mit dem Betrugsparagraphen beizukommen, so müßte man doch allen, die sich unterstehen, die österreichische Republik zu beklatschen und zu besudeln, den Unterstand verweigern. Wie füllt zum Beispiel jener Ludwig Bauer seinen Platz in der Schweiz aus, dessen Umfang doch größer ist als der Österreichs in seiner heutigen Gestalt und der sich nicht scheut, es in seine Tasche zu stecken? Wenn der Bauer kein Riesenspielzeug für die Helvetia ist — »So Allerliebstes sah ich noch nie auf unsern Höhn« —, dann besteht gar kein Grund, den Kantonschreck länger gewähren zu lassen. Und regt sich keines Attinghausen Stolz gegen diese Rudenze der k. u. k. Diplomatie — no ja, der Uli Palffy —; gegen die Konsulatsschlieferln, die im Krieg keine andere Ehre aufhoben als die der Weiberröcke, die die Vorbilder an Lebensführung und Begabung noch über den Krieg hinaus den Schweizern aufdrängen möchten und nichts zu tun haben als ihre arme Heimat zu verleumden; gegen die für Bridge enthobenen Juden, deren Gimpel wieder jene sind und die für die Ehre (nämlich ihnen Du sagen zu dürfen) alles tun, gegen die Spieler und Wühler, Bobbengel und Foxtrottel, gegen die Edi und Bledi und Vucki und Schnucki, gegen das fashionable Ungeziefer der Berghotels, die Maden im Schweizerkäs, die Parasiten ihres Vaterlands und ihres Asyls, die im Krieg nichts unternommen haben als spionieren, koitieren und konspirieren und die es nun fortsetzen wollen, weil sie ja doch nichts gelernt haben als ab- und zu- und ab und zu auch umzutreiben. Wenn man nur ihnen folgte, den besorgten Patrioten in der Fremde!
Das Land ist schwer bedrängt — Warum, mein Oheim?
Wer ist's, der es gestürzt in diese Not?
Beileibe nicht sie! Sie machen doch Propaganda für die Besserung:
Es kostete ein einzig leichtes Wort,
Um augenblicks des Dranges los zu sein
Und einen gnäd'gen Kaiser zu gewinnen.
Das wär' ein Aufschwung — also prima! Und Aähskaifee gäb's — also ideal! So muß man sich alles unter der Hand verschaffen in dieser Saurepublik, wo die Minister bekanntlich den ganzen Tag im Auto herumfahren und bei Tisch sich mit der Gabel den Kopf kratzen. Agassant. Jedoch sub auspiciis imperatoris gedeiht der Abschaum der Creme, ist wieder überall zu haben und nicht mehr auf diese fade Schweiz angewiesen, die einem schon zum Hals herauswächst. Bei der Entente wird man ja doch nicht für voll genommen, weil der Lord und der Marquis halt dem Grafen, der anderen zum Durchhalten zugeredet hat, nicht die Hand reichen und sie noch vorsichtshalber waschen würden — so bleibt nichts übrig als im Lande zu bleiben und sich redlich vom Umsturz zu nähren. Der Mensch muß doch eine Beschäftigung haben. Man ist eh nur so lange Monarchist, bis wieder ein Monarch kommt; ist einer da, dann kann man wieder Witze über ihn erzählen und das Erzhaus als eine Idiotenanstalt schildern. Der Mensch muß doch eine Beschäftigung haben. Hätte die Entente sich nicht so hopatatschig benommen und gäbs noch ein Österreich-Ungarn, das man in Pariser und Londoner Bordellen vertreten könnte, so dächten sie ja nicht im Traum daran, das österreichisch-ungarische zu restaurieren. Das kann doch nicht verboten sein. Sie sind ja eh die reinen Lamperln, und weiß wie der Terror.
Nun, die Schweizer, die die Wiener Kinder aufgenommen haben, sollten noch mehr für sie tun, indem sie die Wiener Erwachsenen hinauswerfen, und nicht bloß solche, die mit der charitativen Fürsorge für jene in Einem den Zweck persönlicher Wohlfahrt — per Auto — erfüllt haben. Die Schweiz, die im Krieg bis zur äußersten Grenze nachsichtig war und nur manchmal in Buchs den k. u. k. Gesandtschaftsdamen die Schokoladekisten und Schuhwarenlager saisierte, hat viel nachzuholen und sollte nun erst untersuchen, ob alle Kantonisten auch sicher sind. Weil Schiller nie in der Schweiz war, scheinen die Schweizer nie den Teil gelesen zu haben. Sie sollten, was sie für sich selbst nicht um die Habsburg gewollt hätten, auch an denen verabscheuen, die an der Gastfreundschaft schmarotzen, um die Heimat zu verraten. Sie sollten nicht zugeben, daß von der österreichischen Gefahr, die ihnen selbst nicht mehr droht, Österreich heimgesucht werde. Was von allen ihren Rechten galt, gelte heute vom Asylrecht, und es wiederhole sich ein Rütlischwur:
»Der sei gestoßen aus dem Recht der Schweizer,
Wer von Ergebung spricht an Österreich!
Landammann, ich bestehe drauf, dies sei
Das erste Landsgesetz, das wir hier geben.«
»So sei's. Wer von Ergebung spricht an Östreich,
Soll rechtlos sein und aller Ehren bar,
Kein Landmann nehm' ihn auf an seinem Feuer.«
Alle (heben die rechte Hand auf):
Wir wollen es, das sei Gesetz!
Und das Gesetz sollte imstande sein, den Mietvertrag von Prangins aufzulösen, dem Berchtold die Konditorei am Thunersee, wo man so guten Aähskaffee bekommt, ungemütlich zu machen, ihm beim Einstudieren des Foxtrott — was sich denn auch wirklich nicht schickt angesichts des Totentanzes, den nach dem Takt eines Trottels die dümmere Welt vollführt hat — Maß aufzuerlegen und die ganze rasend flotte und fabelhaft montierte Gesellschaft von Viveuren und Christen, Bankrotteuren, Journalisten, Aristokraten, Lemuren, Diplomaten und Huren und dieses ganze Kaliber von Schmierer und Schieber wenn schon nicht mores, so doch den Respekt davor zu lehren!
Nr. 561-567, XXII. Jahr
März 1921.