4. Westminster-Abtei. Mesias, am 3ten Junius


Ein Bild von der Beschäftigung der Seligen im Himmel. Das Chor der Sängerinnen sitzt sehr gedrängt: es ist wenig Platz im Himmel: daher muß man sich in Zeiten um Tickets bei den Geistlichen bemühen.

Über der Orgel im Fenster stehen die Patriarchen in Glasmalerei, welches die Ähnlichkeit mit dem Himmel noch vollständiger macht! Die hellen durchsichtigen Farben – So werden sie dort leuchten und zuhören; und da sie sonst nichts zu tun haben, so können sie eben so wohl aber nur in Glas gemalt da stehen.

Das Orchester ist an dem Amphitheater über dem westlichen Eingange. Zuoberst im Hintergrunde steht die Orgel; noch höher, auf einem schmalen Gange, mit dem Gipfel der Orgel gleich, die Heerpauken. Dann folgen die Instrumente, und vorn die Stimmen. Die Bänke sehr hoch über einander; die höchste Bank eine Reihe Knaben.

Um elf Uhr war das Haus schon voll, und alle Bänke besetzt. Ich wurde in einen Gang gepreßt, wo ich anfangs verzweifelte, irgend etwas aufzeichnen zu können; und nur die leidige Wahrnehmung, dass immer mehr Zuhörer zuströmten, konnte mich überzeugen, es sei eine stärkere Kompression möglich. In einem Avertissement wird versprochen, dass man Sorge tragen will, nicht mehr Tickets auszuteilen, als es die Convenience der Gesellschaft erlaube. Mich schauderte, wenn ich bedachte, was Mr. John Ashley, der assistent conductor, einen ungemächlichen Zustand nennt, da er diesen noch gemächlich findet. Für den hohen Preis einer Guinee könnte man allerdings Bequemlichkeit verlangen; aber die menschenfreundliche Absicht, den Fonds für arme Tonkünstler, Söhne von Geistlichen, und das Middlesex-Hospital so viel als möglich zu vermehren, ist schon einer kleinen Aufopferung wert.

Über die Hüte ist hier ein Anathema gesprochen. No Ladies, heißt es in dem Reglement, will be admitted with hats. Aber die Damen wissen sich durch sehr hohen Kopfputz zu rächen, und das Übel ist eben so groß. Auch Federn sind verboten; doch, da man die Grausamkeit gegen die hoops nicht hat allzu weit treiben wollen, so erlaubt man wenigstens kleine Federn. Eine Dame, die zur Royal Society of Musicians geht, ist also in allen Dimensionen, in der Länge und Breite, bestimmt. Man sollte sie durch ein ausgeschnittenes Loch durchschicken, und die, welche nicht das Maß hätten, zurückweisen. Dieses Verbot von Federn ist in einem Koncert, wo man Genuß für das Ohr sucht, sonderbar, da in allen andern Schauspielen so wenig für eine ungehinderte Aussicht gesorgt wird. Der Anblick so vieler tausend Menschen in full dress ist sehr angenehm. Die Damen sind fast alle weiß gekleidet.

Ein Viertel vor Zwölf ward das Tor der Abtei geschlossen, und keiner mehr eingelassen. Zwei Yeomen mit großen Hellebarden wurden unter die königliche Loge, und zwei unter das Amphitheater gestellt. Die letzteren mußten, um sich stattlicher auszunehmen, auf eine Bank steigen, wo sie so sehr gedrängt wurden, dass sie mit dem einen Fuße gewöhnlich in der Luft schwebten. Sie sind, wie wohl aller Hofstaat der Könige, geschmacklos gekleidet: in roten Mänteln mit blauen Sammetstreifen besetzt, den Namen des Königs auf der Brust, und den Namen Gottes an einem Orte, wo er nicht schicklich verherrlicht werden kann. Da diese Yeomen of the guard ihre beschwerliche Stellung nicht lange aushalten können, so lösen sich mehrere ab.

Nur ein Teil der Abtei ist zur Musik bestimmt; der andere ist abgeschlagen: teils um die Monumente nicht beschädigen zu lassen, teils um mehr Eingänge zu gewinnen. Die Gänge sind mit Argantischen Lampen erleuchtet; für gewisse Bedürfnisse der Herren und Damen ist, da die Türen verschlossen sind, sehr schicklich gesorgt.

Die königliche Loge ist mit rotem Taffent bekleidet, auf den das königliche Wapen und andere Verzierungen in Gold gestickt sind. Gerade um zwölf Uhr erschien der König von den Prinzessinnen begleitet, und der Herzog von Gloucester mit dem Prinzen William und seinem jüngeren Sohne. Der König war sehr steif geputzt in Französischer Kleidung, nicht in der Windsor-Uniform. Er scheint für die Musik wenig Ohr zu haben; denn er war immer beschäftigt, mit dem Fernglas seine königliche Neugierde zu befriedigen.

Die Musik war in der Ausführung weit vorzüglicher als die vorige, die wir hörten; auch in den Texten und in der Komposition mehr Einheit. Bald nach der Ankunft des Königs fing die Musik mit einer prächtigen Ouverture an, gegen die das stille tröstende Rezitativ der Mara: comfort ye, my people, saith your God, einen schönen Kontrast machte. Die Sängerin ging mit vieler Kunst von jenen milden wohltätigen Tönen über, zu den befehlenden: prepare ye the way of the lord. Schade, dass in der darauf folgenden Arie der Dichter bei dem Bild des Wegbaues bleibt, Täler ausfüllen und Berge abtragen läßt, um dem Gotte einen – high way zu bahnen! Wie viel erhabener ist das Rezitativ, das Herr Salle so meisterhaft ausführte: This saith the lord of Host ... In den Worten I will shake the heavens and the earth, the sea and the dry land sind alle Künste der musikalischen Malerei erschöpft; der Komponist bleibt bei der Handlung stehen. In der Handlung: a Virgin shall conceive, war dies unmöglich. Die Musik drückt die Freude über die Empfängnis aus; da aber gleich darauf die Jungfrau wieder selbst den Namen Emanuel ruft, so ist der Effekt zerrissen. Der Komponist durfte, wenn er der obigen Schwierigkeit so auswich, nicht auf dem shall call his name ruhen. Eben dieser Fehler ist auch in der Deklamation, der artikulierten Musik, nur allzu häufig. Die Schauspieler drücken im Erzählen erst ihre eigne Empfindung aus, und dann ahmen sie doch wieder die Stimme des Erschlagenen, des Fürchtenden, des Fröhlichen nach.

Die schönste Stelle in dem ersten Teile ist von dem Chor: For unto us a Child is born, bis zu der Arie: rejoice o daughter of Zion. Hier ist am meisten Gedachtes in der Komposition. Die Worte: Wundervoll, Richter, Allmächtiger, sind von ungemeiner Kraft; sie kündigen ein furchtbares Wesen an, bis die sanften Töne: everlasting Father, daran erinnern, dass der Allmächtige auch ein gütiger Friedensfürst ist. Zwischen dem Rezitativ und dem Chor ist eine lange Zwischenmusik, deren Wirkung auf den edleren Teil des Publikums sichtbar war. Alles Liebliche und Harmonische der Tonkunst ist aufgeboten, um die unschuldigen Freuden des Landlebens zu schildern. Endlich beginnen die Worte: there were shepherds abiding in the field ... Die Stimme einer Storace mit jenen Flötentönen verschmolzen: dieser Zauber läßt sich nur fühlen. – Der Engel erscheint; die Musik hebt sich nach und nach, und der Lobgesang Glory to God in the highest, and peace on earth, korrespondiert gleichsam mit dem obigen: for unto us a Child is born.

In dem zweiten Teile hat der Text wenig Zusammenhang. Dennoch ist die Musik im Einzelnen nicht minder schön. Miß Cautels erregte in der unpoetischen Arie: but thou didst not leave his soul in hell, allgemeine Bewunderung. Sie zeigte einen Umfang der Stimme, den ich ihr nicht zugetrauet hätte. Die darauf folgenden Doppelchöre verfehlen ihre Wirkung nie, besonders die Worte: Who is this King of Glory? The Lord strong and mighty, the Lord mighty in battle. Sie erinnerten mich an die Manier der Alten, die eben so ihre Strophen und Antistrophen sangen. Auch ist die Sprache des Dichters hier kräftig und edel. Mr. Griffiths konnte mit aller seiner Kunst dennoch nicht den Mißklang des thou hast led captivity captive vermeiden. Wie leicht könnte der Text geändert werden! Und die Ketzerei wäre nicht groß, da die Bibel doch nicht zum Gesange bestimmt ist.

In den zwei letzten Chören zeigen sich alle Vorzüge eines solchen vollstimmigen Koncerts. Das Chor let us break their bands asunder stürmte mit einer Gewalt ein, dass mehrere Damen vor Schrecken zusammenfuhren. Aber die Musik der Worte: Hallelujah, the lord God omnipotent reigneth, sind viel erhabener und tiefer empfunden. Die feierliche Pause bei der zweiten Wiederholung macht, nach dem Donner der Pauken, und dem Schmettern der Trompeten, einen wunderbaren Effekt.

Der dritte Teil drückt die Wirkung der Erlösung aus. Madame Mara wetteiferte in der Arie: I know that my redeemer lives. Sie schien einer so glänzenden Versammlung sich doch auch in ihrem Glanze zeigen zu wollen. Sie machte Läufe und Kadenzen, die nur sie unternehmen und ausführen konnte; und wenn alle glaubten, ihre Stimme sei erschöpft, so überraschte sie doch noch mit einem neuen Triller – alles mit einer Leichtigkeit, einem scheinbaren Mangel an Anstrengung, als wenn nur diese Töne ihre Sprache wären.

Der Text zu diesem dritten Teil ist auffallend schlecht und zerrissen. Wenn es bei einer geistlichen Kantate einmal des Dichters Wille ist, sie aus biblischen Stellen zusammen zu flicken, so sollte er doch vorsichtiger in seiner Wahl sein. Die Orientalischen Bilder: wie ein Topf zerschlagen, in den twinkling of a use verwandelt zu werden, die wiederholten Vergleichungen zwischen Gott und einem Schafe, und so fort, sind uns jetzt eben so widrig als das Italienische Concetto:

 

The sting of death is sin

and the strength of sin is the law.

 

Das letzte Chor: Worthy is the lamb, hält man für den schönsten Teil der Musik. Kunstreicher und kräftiger ist er freilich, als das Hallelujah for the Lord; ob es aber so tief und dauernd auf die Empfindung wirkt?




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 © textlog.de 2004 • 26.12.2024 14:04:59 •
Seite zuletzt aktualisiert: 17.11.2007 
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