Sammlung des Herrn Lambrechts.
Leda von Tizian


Man brachte uns von hier zu Herrn Lambrechts, der nicht bloß Liebhaber, sondern zugleich Künstler sein will, indem er seine Muße damit hinbringt, die alten Stücke seines Kabinets mit einem glänzenden Firnis zu bepinseln, welches oft die schlimmste Wirkung tut. Er besitzt einige gute Porträts von van Dyk, Rubens, Rembrandt und Jordaens; von dem Letzteren insbesondere den Kopf einer alten Frau, mit mehr Ausdruck und feineren Details, als man ihm zugetraut hätte. Auch sahen wir einen Italienischen, alten Kopf von Spagnoletto, ein Paar große, köstliche Berghems, einige Poelenburgs, Ostaden und Teniers; eine Menge Landschaften von verschiedenen Meistern, eine Aussicht von Antwerpen und der Schelde, das schönste, was ich von Bonaventura Pieters noch gesehen habe, und ich weiß nicht wie viel Herrlichkeiten mehr, die man angafft, um sie gleich wieder zu vergessen. Auf einem großen Gemälde hafteten unwillkürlich unsere Blicke; es war nicht nur den Stücken dieser Sammlung, sondern überhaupt allem, was man uns in Antwerpen zeigen konnte, gänzlich fremd. Kein Niederländer konnte den weiblichen Körper so denken, denn keine Niederländerin war je so gebaut; in meinem Leben sah ich nichts Schöneres als diese unbegreifliche Leda, bei einer so gewaltigen Figur; so denke ich mir die Gespielin eines Gottes. Der unselige Firnis hätte uns diesmal unwillig machen können; gern hätten wir uns die etwas schwärzeren Schatten gefallen lassen, und der Schnee des Schwans wäre uns weiß genug geblieben, hätte man nur dem elastischen Leben dieses Wunderwerkes seine ursprüngliche Weiche und den reinen Ton der Tizianischen Carnationen gelassen. Eine andere Unvollkommenheit mußte mich über diese ästhetische Sünde trösten: der häßliche Kopf von widriger, zurückstoßender Gemeinheit; derselbe, den wir schon in Brüssel an Tizians Danaë so abscheulich gefunden hatten. Wie mag es wohl möglich sein, die Vorliebe für ein Modell so weit zu treiben? Wenn die Reize des Körpers blind machen können gegen die Mißgestalt des Gesichts, darf man denn nicht wenigstens vom Künstler fordern, dass er den Augenblick seiner Illusion nicht zum Augenblick der Beurteilung mache? Doch die wahre Ursache dieses Gebrechens liegt wohl darin, dass Tizians Phantasie mit seiner Darstellungsgabe in umgekehrtem Verhältniss stand.




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 © textlog.de 2004 • 12.03.2025 04:59:19 •
Seite zuletzt aktualisiert: 17.11.2007 
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