Aufwallung über den Brief des Generals van der Mersch.
Geschichte seiner Entwafnung


Heute dauert mich gleichwohl das Schicksal der Brabanter. Unter besseren Führern wären Menschen aus ihnen geworden; der Stoff liegt da in ihrem Wesen, roh, vom Gift einer allzu üppigen Kultur noch nicht durchdrungen, sondern nur das Opfer des unüberwindlichen Betrugs. Heute haben wir sie in einer Aufwallung von republikanischem Geiste gesehen, die gänzlich unvorbereitet und nur desto rührender war. Wir kamen von Schooneberg, dem Landhaus der Generalgouverneurs, zurück, und in allen Straßen sahen wir ganze Schaaren von Menschen in die Buchläden stürzen, und mit unbeschreiblicher Ungeduld nach einem Blatt greifen, das eben jetzt die Presse verließ. Es war ein Brief des Generals van der Mersch an die Staaten von Flandern, worin er ihnen seine Ankunft in Brüssel meldet, und auf die strengste Untersuchung seines Betragens dringt. Die Neugier des Publikums spannte um so mehr auf dieses Blatt, da seit einigen Tagen die wütendsten anonymischen Affichen und Handbillets gegen den General ausgestreuet werden, worin er ein Verräter des Vaterlandes genannt und absichtlich zum Gegenstande der allgemeinen Indignation aufgestellt wird. Die lebhafte Teilnahme an seinem Schicksal, die, so verschieden auch der Beweggrund sein mochte, durch alle Klassen der Einwohner zu gehen schien, hatte wenigstens mehr als Neugier zum Grunde, und verriet einen Funken des Freiheitsgefühls, wovon man sich in Despotien so gar keine Vorstellung machen kann. Es war ein erfreulicher Anblick Alles, Alt und Jung, Männer, Weiber, Kinder, Vornehme und Geringe hinzu strömen zu sehen, um die erste Silbe der Rechtfertigung eines Angeklagten zu lesen! Diese Bewegung dauerte mehrere Stunden; die Druckerei konnte nicht schnell genug die hinlängliche Anzahl Exemplare liefern; man riß einander den Brief aus der Hand, man stritt sich, wer das erste von dem neuankommenden Vorrate besitzen sollte, man drang den Buchhändlern das Geld im Voraus auf, man bot doppelte, zehnfache Zahlung, und wartete, wie dies unter andern unser eigener Fall war, stundenlang auf einen Abdruck. So ging es fort bis spät in die Nacht.

Van der Mersch ist gestern Abend hier eingetroffen; dies ist der vollendende Schlag, welcher das Gebäude der Aristokratie in den Niederlanden befestigt. Die Armee in Namur war bisher noch immer eine Stütze der Volkspartei geblieben; mit den Waffen in der Hand hatte sie die Bittschrift der patriotischen Gesellschaft gebilligt. Sie war in ihrem Eifer noch weiter gegangen. Eine unbegreifliche Gleichgültigkeit der Brabantischen Stände sowohl, als des mit ihnen einstimmigen, ebenfalls von van der Noot inspirierten Kongresses, hatte die Armee an allen Bedürfnissen, an Pferden und Geschütz, an Geld, an Lebensmitteln und Kleidungsstücken den äußersten Mangel leiden lassen; ein großer Teil der in Namur liegenden Truppen hatte weder Uniformen, noch Schuhe. Vielleicht empfanden die vereinigten Provinzen schon jetzt die große Schwierigkeit, zu den Verteidigungsanstalten, die ihre Lage erforderte, die nötigen Summen herbeizuschaffen; vielleicht war auch die verdächtige Treue dieses Heeres die Ursache, dass die Stände säumten und zögerten, um es nicht wider sich selbst zu bewaffnen. Wahr ist es indessen, dass ein allgemeines Mißvergnügen unter den Truppen zu Namur ausgebrochen war, dass der Mangel häufige Veranlassung zu den größten Unordnungen und zur Desertion gab, und dass van der Mersch, nachdem seine wiederholten Vorstellungen an den Kongress nichts gefruchtet, den Entschluß gefaßt hatte, seine Befehlshaberstelle niederzulegen. Bei diesen Umständen versammelten sich am 31. März alle Offiziere der dortigen Besatzung, und äußerten einmütig das Verlangen, dass van der Mersch den Oberbefehl der Armee behalten, der Herzog von Ursel wieder an die Spitze des Kriegesdepartements gesetzt werden, und der Graf la Marck zum zweiten Befehlshaber ernannt werden möchte. Zugleich schrieben sie an alle Provinzen um ihre Mitwirkung zur Abschaffung der Mißbräuche und Wiederherstellung der guten Ordnung. Diese Wünsche mit der am 1. April von dem General erhaltenen schriftlichen Zustimmung, überschickten die Offiziere dem Kongress in einem Briefe, worin sie ohne Umschweif behaupten, das einzige Rettungsmittel für den kranken Staat darin gefunden zu haben, dass sie einigen Ehrgeizigen ihre über die ganze Nation usurpierte Macht zu entreißen beschlossen hätten. Um zu gleicher Zeit das Schreckbild einer Nationalversammlung zu entfernen, erschien am folgenden Tage eine Erklärung, welche die nach Namur geflüchteten Patrioten Vonk, Verlooy, Daubremez und Weemaels unterzeichnet hatten, worin sie nochmals versicherten, dass sie in der Bittschrift vom 15. März auf eine Versammlung dieser Art keinesweges angetragen hätten, sondern im Gegenteil auf die Verfassung der drei Stände fest zu halten gesonnen wären, und lediglich eine mehr befriedigende Repräsentation als die jetzige, nach dem Beispiele von Flandern, verlangten. Dieser Erklärung erteilte die Armee am 3. April ihre Zustimmung. Sie war um so merkwürdiger, da das Projekt des Kongresses, oder, wie er sich selbst nannte, der Belgischen Generalstaaten, vom 31. März mit ihr gleichen Inhalt hatte, den einzigen Umstand ausgenommen, dass der Kongress behauptete: noch sei es zu früh, an eine verbesserte Repräsentation zu denken, indem auf die Verteidigung gegen den auswärtigen Feind alle Kräfte und alle Sorgen gerichtet werden müßten; wenn aber der Zeitpunkt gekommen sein würde, wolle man selbst die Nation dazu auffordern, und mittlerweile wünsche man die Zustimmung und Garantie aller Provinzen zu diesem Entwurf. Die Stände von Flandern säumten nicht, diesem Vorschlag ihren Beifall zu erteilen, indem sie sich zugleich vorbehielten, in ihrer Provinz mit der bereits angefangenen Verbesserung der Konstitution fortzufahren und sie zu vollenden, ohne die Aufforderung des Kongresses abzuwarten. Diese Äußerung war um so schicklicher, da es mit dem ganzen Vorschlage des Kongresses nur darauf angesehen war, dem Volk Staub in die Augen zu werfen, und die Stände von Brabant nicht die geringste Rücksicht darauf nahmen, sondern fortfuhren, ihre vermeinten Ansprüche auf die Souveränität dieser Provinz geltend zu machen.

Die Nachricht von den demokratischen Gesinnungen der Armee erschütterte nicht nur die Stände von Brabant, sondern auch die bisher so eifrigen Freunde des Generals van der Mersch, die Stände von Flandern. Sie forderten den Kongress auf, alle Kräfte anzustrengen, um die Gefahr abzuwenden, die von dorther dem Vaterland drohte, und sie waren es auch, welche den Vorschlag taten, den General nach Brüssel vor den Kongress fordern zu lassen, damit er von seiner Aufführung Rechenschaft gäbe. Im Weigerungsfalle wollten sie ihm die noch kürzlich bewilligte Zulage von zweitausend Gulden zu seiner Besoldung entziehen.4 Von einer andern Seite erboten sich die beiden patriotischen Freunde, der Herzog von Ursel und der Graf de la Marck, in einem Schreiben an den Kongress, sich nach Namur zu begeben, und vermittelst des Vertrauens, welches ihnen die Armee bezeigt habe, den Ausbruch des Unglücks zu verhüten. Da sie gleich bei ihrer Ankunft das vorhin erwähnte Projekt des Kongresses vom 31. März der Armee bekannt machten, so gelang es ihnen, eine Erklärung unter dem 5. April von derselben und von dem General van der Mersch zu erhalten, worin sie ihre völlige Zufriedenheit mit dem Inhalt dieses Projekts in Absicht auf die künftige Reform der Verfassung zu erkennen gaben. Allein van der Noot wußte ein zuverläßigeres Mittel, für die Erhaltung seiner Partei zu sorgen. Er ließ ein Korps von fünftausend Mann, welches bisher in Löwen gestanden hatte und den Ständen von Brabant ergeben war, unter Anführung des Generals von Schönfeld nach Namur marschieren. Van der Mersch, der von dieser Maßregel keine Nachricht aus Brüssel erhalten hatte, rückte mit seiner in drittehalbtausend Mann bestehenden Besatzung dem andern Korps entgegen. Bald erfuhr er indes durch die an ihn geschickten Adjutanten, dass der Kongress nicht nur diese Truppen beordert habe, sondern dass sich auch deputierte Mitglieder des Kongresses an ihrer Spitze befänden, vor denen er sich stellen müsse. Er begab sich sogleich zu ihnen, und da er inne ward, dass der ganze Anschlag hauptsächlich auf seine Person gemünzt war, so beschloß er auf der Stelle, vor dem Kongress in Brüssel zu erscheinen. So vermied er den Ausbruch eines Bürgerkrieges, in welchem Brüder gegen Brüder hätten fechten müssen. Der Herzog von Ursel und der Garf la Marck haben nur wenige Stunden lang Arrest gehabt und sind wieder auf freien Fuß gestellt. Das ist die Geschichte jenes merkwürdigen Tages, die heute die ganze Stadt beschäftiget. Gestern und vorgestern waren die Nachrichten über dieses Ereignis noch zu unbestimmt und widersprechend.




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 © textlog.de 2004 • 22.11.2024 02:00:16 •
Seite zuletzt aktualisiert: 18.11.2007 
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