Fahrt auf der Barke nach Fürnen, Nieuport und Ostende
Die Barke nach Fürnen geht täglich um drei Uhr Nachmittags auf dem Kanal von hier ab, durch eine ärmliche, wenig bebaute und fast gar nicht beschattete Fläche, über welche diesmal ein scharfer, kalter Wind hinstrich, der uns, trotz unseren Mänteln, ganz durchdrang. Dazu trug freilich die Gebrechlichkeit des Fahrzeuges viel bei. Der innere Raum desselben stand voll Wassers, und erhielt den Fußboden beständig angefeuchtet; auch waren in der Kajüte alle Fenster zerschlagen und der Wind hatte überall freies Spiel. Desto mehr bewunderten wir den Fleiß unserer Gesellschafterinnen, einer reichen Kaufmannsfrau aus Dünkirchen und ihrer achtzehnjährigen Tochter, die in einem fort strickten. Bei dem Dorfe Hoyenkerken befanden wir uns wieder auf Flandrischem Boden, und wurden von den Zollbedienten visitiert. Abends gegen neun Uhr traten wir zu Fürnen im Stadthaus oder vielmehr in der Conciergerie ab, welche fast durchgehends in allen Flandrischen Landstädten ein Wirtshaus vorstellt. Wir hatten diesmal Ursache, mit unserer Bewirtung vollkommen zufrieden zu sein, und bezahlten die Ehre, auf dem Schlafzimmer unserer Reisegefährtinnen zu speisen, bloß mit der geduldigen Aufmerksamkeit, die wir ihrer Familiengeschichte widmen mußten.
Das kleine Städtchen hatte am Morgen ein freundliches Ansehen; die Häuser verkündigten, ihrer altmodigen Bauart ungeachtet, einen gewissen Wohlstand, und die Straßen waren so breit und so reinlich gehalten, dass man es ihnen nicht anmerkte, welcher Handelszweig die Einwohner bereichert. Fürnen ist der größte Viehmarkt in Flandern, der die angrenzenden Provinzen von Frankreich mit fetten Ochsen versieht, und die Kastellanei, der dieser Ort seinen Namen gibt, hat die vortreflichsten Weiden im ganzen Land. Die umliegende Gegend wird von Kanälen nach allen Richtungen durchschnitten, und auf einem derselben schiften wir uns wieder nach Nieuport ein. Unsere Barke war jedoch nicht besser, als die von Dünkirchen, und selbst der Kanal hatte ein vernachlässigtes Ansehen, woraus man ziemlich sicher schließen darf, dass diese Reiseroute nur selten besucht wird.
Der ärmliche Anblick von Nieuport führte uns nicht in die Versuchung, so lange da zu bleiben, bis die Barke nach Ostende abginge; wir mieteten lieber ein kleines Fuhrwerk mit einem Pferde, das unbehilflichste Ding, in dem ich je gefahren bin, und setzten unsere Reise zu Lande fort. In dem kleinen Hafen zählten wir nur fünfzehn Fahrzeuge von ganz unbedeutender Größe, die jetzt während der Ebbe insgesamt auf dem Sand trocken lagen. Der hiesige Handel ist übrigens so geringfügig, dass sich mitten am Tage fast niemand auf der Straße regte. Unter den Fischerhütten, aus denen das kleine Städtchen besteht, bemerkten wir kaum ein gutes Gebäude. Jetzt fuhren wir also über eine weite, kahle Ebene, wo die Viehtriften, die Gräsereien und Wiesen mit einigen Äckern abwechselten. Die große Anzahl der umherliegenden, mit Gemüse- und Obstgärten umgebenen Dörfer bezeugte gleichwohl die starke Bevölkerung dieser Gegend von Flandern. Allein so nahe an den unfruchtbaren Dünen waren die Kühe auf der Weide sehr mager und klein, die Pferde kurzbeinig und von plumper Gestalt. Die kümmerliche Nahrung dieses Sandbodens scheint dem genügsamen Esel angemessener zu sein; auch sahen wir diese Tiere überall haufenweis am Wege, und zu mehreren Hunderten auf den Marktplätzen in Dünkirchen und Ostende, mit den Erzeugnissen des Landes beladen.
Wir hatten gelacht, als man uns in Brüssel erzählte, dass, wenn die Niederländer ihre Unabhängigkeit nicht mit Würde behaupten könnten, sowohl England, als ein anderer Nachbar die Gelegenheit wahrnehmen dürfte, um ihnen das Schicksal ohnmächtiger und uneiniger Republiken zu bereiten, wovon dieses Jahrhundert schon mehr als Ein Beispiel sah. Bei unserer Ankunft in Ostende aber schien uns der Anfang zur Ausführung schon gemacht und dieser Ort in eine Englische Seestadt verwandelt. Das dritte oder vierte Haus ist immer von Engländern bewohnt, und nicht etwa nur Kaufleute und Makler, sondern auch Krämer und Professionisten von dieser Nation haben sich hier in großer Anzahl niedergelassen. Daher bemerkt man auch in den Sitten und der Lebensart der hiesigen Einwohner eine sichtbare Übereinstimmung mit denen der Brittischen Inseln, die sich bis auf den Hausrat, die Zubereitung der Speisen und die Lebensmittel selbst erstreckt. So wahr ist es, dass diese unternehmende Nation, die bereits den Handel der halben Welt besitzt, keine Gelegenheit unbenutzt lassen kann, um sich eines jeden neuen Zweiges, der etwa hervorsproßt, zu bemächtigen. Wo ihre Schiffe nicht unter ihrer eigenen Flagge fahren, müssen fremde Namen sie decken. Mit ihren Kapitalen und unter ihrem Einfluß handelt Schweden nach Indien und China, und indes Holland durch die Auswanderung so vieler reichen Familien, durch die nachteilige Verbindung mit Frankreich und eine Reihe von zusammentreffenden Unglücksfällen einen unheilbaren Stoß erlitten hat, indes Frankreichs Handel wegen seiner inneren Gährung danieder liegt, indes Dänemark ungeachtet eines funfzigjährigen Friedens von seinen Administratoren zu Grunde gerichtet ist, und Spanien und Portugal durch Piastern und Diamanten weder reich noch mächtig werden können, blüht Englands Handel überall, umfaßt alle Weltteile und hat seit dem heilsamen Verlust der Kolonien einen unglaublich großen Zuwachs erhalten. Diese bewundernswürdige Tätigkeit ist so augenscheinlich das Resultat der bürgerlichen Freiheit und der durch sie allein errungenen Entwicklung der Vernunft, dass selbst die äußerste Anstrengung der Regierungen in anderen Ländern, dem Handel aufzuhelfen, bloß an den Gebrechen der Verfassungen hat scheitern müssen. Was ein Monarch für die Aufnahme des Handels tun kann, hat Joseph der Zweite hier großmütig geleistet. Der Hafen von Ostende ist ein Denkmal seiner tätigen Verwendung für die Wohlfahrt der Niederlande. Doch Vernunft und vernünftige Bildung konnte die Regentenallmacht nicht schaffen; das Gefühl von eigener Kraft und eigenem Wert, das nur dem freien Menschen werden kann, vermochte selbst Joseph nicht herauf zu zaubern.