Himmelfahrt Mariä von Rubens
Von Rubens Arbeit sieht man hier die schönsten Stücke sorgfältig hinter Vorhängen oder auch hinter übermalten Flügeltüren verwahrt. Wir drängten uns während der Messe vor den Hochaltar, und knieten mit dem Haufen andächtiger Antwerper hin, um das große Altarblatt, welches die Himmelfahrt der Jungfrau vorstellt, mit Muße anzusehen, ohne Ärgernis zu geben. Ich rate indes jedem, der seinen Glauben lieb hat, diesen Vorwitz nicht nachzuahmen, und vielmehr nach dem Beispiel der frommen Gemeine, die uns umgab, sich an die Brust zu schlagen und den Blick auf die Erde zu heften, als den Gegenstand seiner Andacht verwegen ins Auge zu fassen. So lange man nicht weiß, was man anbetet kann man sich seine Gottheit so göttlich träumen wie man will; ein Blick in dieses Empyräum, und es ist um alle Täuschung geschehen. Die dicke Lady Rubens sitzt zum Skandal der Christenheit leibhaftig in den Wolken, so gemächlich und so fest wie in ihrem Lehnstuhl. Ob sie sich nicht schämen sollte, eine Göttin vorzustellen – und eine Jungfrau dazu? Es scheint in der Tat nicht, als ob etwas vermögend wäre sie aus ihrer gleichgültigen, phlegmatischen Ruhe zu bringen und in Entzücken oder wenigstens in Erstaunen zu versetzen; eine Himmelfahrt oder eine Fahrt auf der Treckschuit, alles ist ihr gleich. Was könnte denn auch Lady Rubens auf einer solchen Luftreise Merkwürdiges sehen? Nichts als das blaue Firmament und einige Wolken, deren nähere Bekanntschaft sie nicht interessieren kann; sodann eine Menge runder Kinderköpfe mit Flügeln und eine große Schaar von kleinen fliegenden Jungen in allerlei Posituren, die am liebsten eine ungeheure, nicht allzu präsentable partie zum besten geben, womit die Dame wohl eher in der Kinderstube bekannt wurde, die aber leider zum Fliegen gar nicht gemacht ist. In Italien, sagt man, hätten die Weiber Augen zu mehr als Einem Gebrauch: dort sind es die schönen Fenster der Natur, hinter denen man die Seele lieblich oder göttlich hervorstralen sieht; aber in Antwerpen! hier ist das Auge ja nur ein oeil de boeuf am Gewölbe des Schädels, um ein wenig Licht hineinzulassen!
Unter dieser lieben Frau, die allen Gesetzen der Physik spottet, steht eine Gruppe von bärtigen, ernsthaften Männern, die mit der äußersten Anstrengung ihrer Augen auf ein weißes Tuch sehen, das vor ihnen liegt. Von dem, was über ihnen, in den Lüften vorgeht, scheinen sie gar keine Ahndung zu haben; sonst hätte doch wohl einer hinaufgeguckt und noch größere Augen gemacht. Kein Mensch begreift, was sie wollen; hätte man nur die Legende darunter geschrieben, so wäre nichts in der Welt so leicht zu verstehen gewesen. War es etwa ein politischer Kunstgriff des Malers, die Geschichte nur denen zu verraten, die das Geheimnis schon wissen?
Dieses prunkende Gemälde wird von allen Kennern bewundert, von allen Künstlern mit tiefer Ehrfurcht angestaunt, von allen Reisenden begafft und auf das Wort ihres Miethslakaien gepriesen. Ich setze noch hinzu: sie haben alle Recht. Nicht nur die Ausführung eines Kunstwerkes von solchen Dimensionen ist etwas wert, sondern man verkennt auch an diesem Meisterwerke nicht den Genius des Künstlers. Alles, was hier vorgestellt wird, findet man einzeln in der Natur: solche Menschen, solche Kinder, solche Gestalten und solche Farben. Die Wahrheit, Leichtigkeit und Zuverlässigkeit, womit Rubens sie, aus der Natur aufgefaßt, durch seine Hand verewigen konnte, bilden eine künstlerische Größe, worin er keinen Nebenbuhler hat. Auf diesem ungeheuren Altarblatt umschweben nicht etwa nur ein halbes Dutzend Engel, wie in Guido's Gemälde, die Jungfrau; sie bleiben nicht halb im Schatten, nicht halb hinter ihr verborgen, um die einfache Größe des Eindruckes nicht zu stören; hier ist sie von einem ganzen himmlischen Hofstaat umringt; unzählige Kinderfiguren, immer in anderen Stellungen und Gruppen, Köpfe mit und ohne Körper, flattern auf allen Seiten um sie her und verlieren sich in einem Meer von Glorie. In der zweiten, irdischen Gruppe sieht man wieder eine Menge Figuren in Lebensgröße zu einem schönen Ganzen verbunden; und welche Varietät der Stellungen, welche Harmonie der Farbenschattierungen, vor allem, welche Wahrheit und welcher Ausdruck herrschen auch hier in allen Köpfen! Doch die größte Überlegenheit des Künstlers besteht darin, dass er zur Verfertigung dieses großen Gemäldes nur sechzehn Tage bedurfte. Erwägt man den Grad der Tätigkeit und des Feuers, der zu dieser erstaunlichen Schöpfung gehört, so fühlt man sich geneigt, ihr alle ihre Gebrechen und Mängel zu verzeihen.