1. Zur Literatur über Kant
Es ist unmöglich, auf wenigen Seiten, geschweige denn Zeilen, eine Übersicht über die unermeßliche und von Jahr zu Jahr noch mehr anschwellende Kantliteratur zu geben.*)
Es ist aber auch überflüssig, weil jedem, der sich dafür interessiert, heute Hilfsmittel genug zu Gebote stehen. Als zuverlässiges Nachschlagebuch empfiehlt sich auch hier wieder Ueberwegs Grundriß, von dem der betr. Teil (III) zuletzt in 11. Auflage erschienen ist; in ihm füllen allein die Schriftentitel zur Kritik der reinen Vernunft fünfzehn enggedruckte Seiten. Sie geben die Literatur von 1865 an, wenn auch bei weitem nicht vollständig: wie die genaue philosophische Gesamt-Bibliographie, die 1895-1900 Natorp jährlich dem ›Archiv für systematische Philosophie‹ beigab, oder die Kantbibliographie Reickes in den Jahrgängen der ›Altpreußischen Monatsschrift‹ beweisen.
Seit 1896 geben die von Vaihinger (der schon seit 1888 den größten Teil der Kantliteratur im ›Archiv für Geschichte der Philosophie‹ besprochen hatte) begründeten ›Kantstudien‹ über alles, was den Begründer des Kritizismus angeht - sei es geschichtlicher, systematischer, literarischer oder biographischer Natur - ausführlichste Auskunft. Ihr rühriger Herausgeber (H. Vaihinger, jetzt zusammen mit M. Frischeisen-Köhler und A. Liebert) hat am 100. Todestag Kants (12. Februar 1904) zur Förderung und Verbreitung des Kantstudiums die ›Kantgesellschaft‹ begründet, die jetzt, über alle Erdteile verbreitet, über tausend Mitglieder zählt. Dieselbe gibt auch Ergänzungshefte heraus, stellt Preisaufgaben, veranstaltet Vorträge und veröffentlicht Neudrucke seltener philosophischer Werke des 18. und 19. Jahrhunderte. Besonders reiche Ausbeute brachte natürlich das Jubiläumsjahr 1904; freilich viel Spreu neben wenig Weizen. Wir verweisen besonders auf die Jubiläumshefte der Altpreußischen Monatsschrift, der ›Kantstudien‹ und der Revue de Métaphysique et Morale (Paris). Wir werden uns darauf beschränken, bei jedem Paragraphen auf die wichtigste Literatur, insbesondere die zusammenfassenderen Darstellungen, aufmerksam zu machen, in dem vorliegenden also auf die Gesamtdarstellungen und Biographien.
Kürzere Gesamtdarstellungen der Kantischen Philosophie finden sich natürlich in allen Geschichten der Philosophie. Die ausführlichste und gelesenste ist die von Kuno Fischer im 4. und 5. Bande seiner »Geschichte der neueren Philosophie« (5. Auflage 1909/10), die zwar lichtvoll und verständlich geschrieben, jedoch zur tieferen Einführung in die Kantischen Probleme nicht geeignet, auch im Tatsächlichen nicht immer zuverlässig ist. Philosophisch- systematisch gehalten ist B. Bauch, I. Kant. 1917. Leben und Lehre verbunden dargestellt von E. Cassirer in Bd. XI seiner Kant-Ausgabe (s. u.). Eine neue umfangreiche Darstellung aus meiner Feder (I. Kant, sein Leben und sein Werk) steht bevor.
Populären Zwecken dient ›Kants Weltanschauung in ihren Hauptstücken von ihm selbst‹, hrsg. von K. Vorländer. Darmstadt 1919. Eine vielgelesene, aber unseres Erachtens den methodischen Kernpunkt verfehlende Sonderdarstellung gibt Fr. Paulsen in Frommanns ›Klassiker der Philosophie‹, 4. Aufl. 1904. Die von M. Kronenberg (Kant, Sein Leben und seine Lehre, 8. Aufl. 1918) ist nur für weitere Kreise berechnet. Zur ersten Einführung empfehlenswert die kurzen Darstellungen von O. Külpe (Teubner), 4. Aufl. 1916 und Br. Bauch (Göschen) 1911. Geistvoll, wenngleich stark subjektiv: Chamberlain, Immanuel Kant. Die Persönlichkeit als Einführung in sein Werk. 1905.
Die bald nach Kants Tode von Freunden und Verehrern (Borowski, Jachmann, Wasianski) veröffentlichten Nachrichten über Kants Leben und Charakter - gekürzt herausgegeben von A. Hoffmann (Halle 1902), 2. Aufl. von H. Schwarz (1907) - wurden unter Benutzung des bis 1842 hinzugekommenen Materials, zum erstenmal zu einer ausführlicheren, aber vielfach ungenauen Darstellung verarbeitet von Schubert (Bd. XI, 2 der Ausgabe von Kants Werken ed. Rosenkranz und Schubert 1838 ff.). Seitdem haben namentlich Kants Landsleute: R. Reicke, E. Arnoldt, A. Warda u. a. wertvolle Einzelbeiträge geliefert. Die erste neuere, alles bisher entdeckte Material verwertende Biographie bietet Karl Vorländer, Kants Leben, Lpz. 1911 (Phil. Bibl. Bd. 136). Vgl. auch K. Vorländer, Die ältesten Kantbiographien. Ergänzungsheft der Kantstudien 1918.
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*) Von der Masse derselben gibt einen ungefähren Begriff die Tatsache, dass in der German Kantian Bibliography, die E. Adickes in einer amerikanischen Zeitschrift (Philosophical Review) mit bewundernswertem Fleiße zusammengestellt hat, allein das Verzeichnis der Kantschriften bis zu Kants Tode (1804) nicht weniger als 2832 Nummern zählt!