Die transzendentale Ästhetik
Alle Erfahrung kommt durch zwei Faktoren in uns zustande: 1. durch sinnliche Wahrnehmung, 2. durch den Verstand. In unserem Innern zwar sind beide unzertrennlich miteinander verbunden. Aber zum Behufe der Theorie müssen sie »isoliert«, getrennt voneinander betrachtet werden. Den Anteil, den die erstere zum Bestande der Wissenschaft beiträgt, untersucht die transcendentale Ästhetik, d.h. »eine Wissenschaft von allen Prinzipien der Sinnlichkeit a priori« [Kant nimmt damit, im Unterschiede von der durch Baumgarten (§ 29) eingeführten und noch heute üblichen, die althellenische Bedeutung des Terminus »Ästhetik« wieder auf]. - Wie ist das a priori der Sinnlichkeit festzustellen? Zu dem Zwecke muß zunächst alles, was Empfindung heißt, aus der sinnlichen Vorstellung oder Anschauung entfernt werden. Denn die Empfindung, die anscheinend erste und unmittelbarste Antwort der Sinne auf den Reiz (die »Affektion«) der »Dinge«, bildet das empirische, aposteriorische materiale Element der sinnlichen Wahrnehmung. Die kritische Methode aber will, wie wir sahen, lediglich die formalen Bedingungen der Erfahrung, in diesem Falle die Form der Anschauung feststellen. Form bedeutet bei Kant - abgesehen von der »bloß logischen« Form - nicht den Gegensatz zu irgendwelchem Inhalte, sondern zur Materie, d.h. einem unbestimmten, aber bestimmbaren X, dessen Bestimmung eben die Form ist. In unserem Falle heißt das: die Form der Erscheinung, d. i. des »unbestimmten Gegenstandes«, ist dasjenige, »welches macht, dass das Mannigfaltige der Erscheinung in gewissen Verhältnissen geordnet werden kann« Dadurch wird die empirische Anschauung erhoben zur formalen oder reinen Anschauung, »in der nichts angetroffen wird, was zur Empfindung gehört« Die zwei reinen Formen der Sinnlichkeit aber sind Raum und Zeit.