§ 3. Wirtschaftliche Orientierung
§ 3. Wirtschaftliche Orientierung kann traditional oder zweckrational vor sich gehen. Selbst bei weitgehender Rationalisierung des Handelns ist der Einschlag traditionaler Orientiertheit relativ bedeutend. Die rationale Orientierung bestimmt in aller Regel primär das leitende Handeln (s. § 15), gleichviel welcher Art die Leitung ist. Die Entfaltung des rationalen Wirtschaftens aus dem Schoße der instinktgebundenen reaktiven Nahrungssuche oder der traditionalistischen Eingelebtheit überlieferter Technik und gewohnter sozialer Beziehungen ist in starkem Maß auch durch nicht ökonomische, außeralltägliche, Ereignisse und Taten, daneben durch den Druck der Not bei zunehmender absoluter oder (regelmäßig) relativer Enge des Versorgungsspielraums bedingt gewesen.
1. Irgendeinen »wirtschaftlichen Urzustand« gibt es für die Wissenschaft natürlich prinzipiell nicht. Man könnte etwa konventionell sich einigen, den Zustand der Wirtschaft auf einem bestimmten technischen Niveau: dem der (für uns zugänglichen) geringsten Ausstattung mit Werkzeugen, als solchen zu behandeln und zu analysieren. Aber wir haben keinerlei Recht, aus den heutigen Rudimenten werkzeugarmer Naturvölker zu schließen: daß alle im gleichen technischen Stadium befindlichen Menschengruppen der Vergangenheit ebenso (also nach Art der Weddah oder gewisser Stämme Innerbrasiliens) gewirtschaftet hätten. Denn rein wirtschaftlich war in diesem Stadium sowohl die Möglichkeit starker Arbeitskumulation in großen Gruppen (s. unten § 16) wie umgekehrt starker Vereinzelung in kleinen Gruppen gegeben. Für die Entscheidung zwischen beiden konnten aber neben naturbedingten ökonomischen auch außerökonomische (z.B. militaristische) Umstände ganz verschiedene Antriebe schaffen.
2. Krieg und Wanderung sind zwar selbst nicht wirtschaftliche (wennschon gerade in der Frühzeit vorwiegend wirtschaftlich orientierte) Vorgänge, haben aber zu allen Zeiten oft, bis in die jüngste Gegenwart, radikale Änderungen der Wirtschaft im Gefolge gehabt. Auf zunehmende (klimatisch oder durch zunehmende Versandung oder Entwaldung bedingte) absolute Enge des Nahrungsspielraums haben Menschengruppen, je nach der Struktur der Interessenlagen und der Art des Hineinspielens nichtwirtschaftlicher Interessen, sehr verschieden, typisch freilich durch Verkümmerung der Bedarfsdeckung und absoluten Rückgang der Zahl, auf zunehmende Enge des relativen (durch einen gegebenen Standard der Bedarfsversorgung und der Verteilung der Erwerbschancen – s.u. § 11 – bedingten) Versorgungsspielraums zwar ebenfalls sehr verschieden, aber (im ganzen) häufiger als im ersten Fall durch steigende Rationalisierung der Wirtschaft geantwortet. Etwas Allgemeines läßt sich indessen selbst darüber nicht aussagen. Die (soweit der »Statistik« dort zu trauen ist) ungeheure Volksvermehrung in China seit Anfang des 18. Jahrhunderts hat entgegengesetzt gewirkt als die gleiche Erscheinung gleichzeitig in Europa (aus Gründen, über die sich wenigstens einiges aussagen läßt), die chronische Enge des Nahrungsspielraumes in der arabischen Wüste nur in einzelnen Stadien die Konsequenz einer Änderung der ökonomischen und politischen Struktur gehabt, am stärksten unter der Mitwirkung außerökonomischer (religiöser) Entwicklung.
3. Der lange Zeit starke Traditionalismus der Lebensführung z.B. der Arbeiterschichten im Beginn der Neuzeit hat eine sehr starke Zunahme der Rationalisierung der Erwerbswirtschaften durch kapitalistische Leitung nicht gehindert, ebenso aber z.B. nicht: die fiskal-sozialistische Rationalisierung der Staatsfinanzen in Ägypten. (Immerhin war jene traditionalistische Haltung im Okzident etwas, dessen wenigstens relative Überwindung die weitere Fortbildung zur spezifisch modernen, kapitalistisch rationalen Wirtschaft erst ermöglichte.)