§ 12. Naturalrechnung
§ 12. Naturalrechnung kann in den verschiedensten Kombinationen vorkommen. Man spricht von Geldwirtschaft im Sinn einer Wirtschaft mit typischem Geldgebrauch und also: Orientierung an geldgeschätzten Marktlagen, von Naturalwirtschaft im Sinn von Wirtschaft ohne Geldgebrauch, und kann darnach die historisch gegebenen Wirtschaften je nach dem Grade ihrer Geld- oder Naturalwirtschaftlichkeit scheiden.
Naturalwirtschaft aber ist nichts Eindeutiges, sondern kann sehr verschiedener Struktur sein. Sie kann
a) absolut tauschlose Wirtschaft bedeuten oder
b) eine Wirtschaft mit Naturaltausch ohne Gebrauch von Geld als Tauschmittel.
Im ersten Fall (a) kann sie sein: sowohl
a. eine 1. vollkommunistisch oder eine 2. genossenschaftlich (mit Anteilsrechnung) wirtschaftende Einzelwirtschaft und in beiden Fällen ohne alle Autonomie oder Autokephalie einzelner Teile: geschlossene Hauswirtschaft, wie
ß. eine Kombination verschiedener sonst autonomer und autokephaler Einzelwirtschaften, alle belastet mit naturalen Leistungen an eine (für herrschaftliche oder für genossenschaftliche Bedürfnisse bestehende) Zentralwirtschaft: Naturalleistungswirtschaft (»Oikos«, streng leiturgischer politischer Verband).
In beiden Fällen kennt sie, im Fall der Reinheit des Typus (oder soweit dieser reicht), nur Naturalrechnung.
Im zweiten Fall (b) kann sie sein:
a. Naturalwirtschaft mit reinem Naturaltausch ohne Geldgebrauch und ohne Geldrechnung (reine Naturaltauschwirtschaft) oder
ß. Naturaltauschwirtschaft mit (gelegentlicher oder typischer) Geldrechnung (typisch im alten Orient nachweisbar, aber sehr verbreitet gewesen).
Für die Probleme der Naturalrechnung bietet nur der Fall a, a in seinen beiden Formen oder aber eine solche Gestaltung des Falles a, ß Interesse, bei welcher die Leiturgien in rationalen Betriebseinheiten abgeleistet werden, wie dies bei Aufrechterhaltung der modernen Technik bei einer sog. »Vollsozialisierung« unvermeidlich wäre.
Alle Naturalrechnung ist ihrem innersten Wesen nach am Konsum: Bedarfsdeckung, orientiert. Selbstverständlich ist etwas dem »Erwerben« ganz Entsprechendes auf naturaler Basis möglich. Entweder so, daß a) bei tauschloser Naturalwirtschaft: verfügbare naturale Beschaffungsmittel und Arbeit planvoll zur Güterherstellung oder Güterherbeischaffung verwendet werden auf Grund einer Rechnung, in welcher der so zu erzielende Zustand der Bedarfsdeckung mit dem ohne diese oder bei einer andern Art der Verwendung bestehenden verglichen und als haushaltsmäßig vorteilhafter geschätzt wird. Oder daß b) bei Naturaltauschwirtschaft im Wege des streng naturalen Abtauschs und Eintauschs (eventuell: in wiederholten Akten) eine Güterversorgung planmäßig erstrebt wird, welche, mit der ohne diese Maßregeln vorher bestehenden verglichen, als eine ausgiebigere Versorgung von Bedürfnissen bewertet wird. Nur bei Unterschieden qualitativ gleicher Güter aber kann dabei eine ziffernmäßige Vergleichung eindeutig und ohne ganz subjektive Bewertung durchgeführt werden. Natürlich kann man typische Konsum- Deputate zusammenstellen, wie sie den Naturalgehalts- und Naturalpfründen- Ordnungen besonders des Orients zugrunde lagen (und sogar Gegenstände des Tauschverkehrs, wie unsre Staatspapiere, wurden). Bei typisch sehr gleichartigen Gütern (Niltal-Getreide) war Lagerung mit Giroverkehr (wie in Ägypten) natürlich technisch ebenso möglich, wie für Silberbarren bei Bankowährungen. Ebenso kann (und dies ist wichtiger) ziffernmäßig der technische Erfolg eines bestimmten Produktionsprozesses ermittelt und mit technischen Prozessen anderer Art verglichen werden. Entweder, bei gleichem Endprodukt, nach der Art des Beschaffungsmittelbedarfs nach Art und Maß. Oder, bei gleichen Beschaffungsmitteln, nach den – bei verschiedenem Verfahren – verschiedenen Endprodukten. Nicht immer, aber oft, ist hier ziffernmäßiger Vergleich für wichtige Teilprobleme möglich. Das Problematische der bloßen »Rechnung« beginnt aber, sobald Produktionsmittel verschiedener Art und mehrfacher Verwendbarkeit oder qualitativ verschiedene Endprodukte in Betracht kommen.
Jeder kapitalistische Betrieb vollzieht allerdings in der Kalkulation fortwährend Naturalrechnungsoperationen: Gegeben ein Webstuhl bestimmter Konstruktion, Kette und Garn bestimmter Qualität. Festzustellen: bei gegebener Leistungsfähigkeit der Maschinen, gegebenem Feuchtigkeitsgehalt der Luft, gegebenem Kohlen-, Schmieröl-, Schlichtmaterial- usw. Verbrauch: die Schußzahl pro Stunde und Arbeiter – und zwar für den einzelnen Arbeiter – und darnach das Maß der in der Zeiteinheit von ihm fälligen Einheiten des erstrebten Produkts. Derartiges ist für Industrien mit typischen Abfall- oder Nebenprodukten ohne jede Geldrechnung feststellbar, und wird auch so festgestellt. Ebenso kann, unter gegebenen Verhältnissen, der bestehende normale Jahresbedarf des Betriebes an Rohstoffen, bemessen nach seiner technischen Verarbeitungsfähigkeit, die Abnutzungsperiode für Gebäude und Maschinen, der typische Ausfall durch Verderb oder andern Abgang und Materialverlust naturalrechnungsmäßig festgestellt werden, und dies geschieht. Aber: die Vergleichung von Produktionsprozessen verschiedener Art und mit Beschaffungsmitteln verschiedener Art und mehrfacher Verwendbarkeit erledigt die Rentabilitätsrechnung der heutigen Betriebe für ihre Zwecke spielend an der Hand der Geldkosten, während für die Naturalrechnung hier schwierige, »objektiv« nicht zu erledigende, Probleme liegen. Zwar – scheinbar ohne Not – nimmt die tatsächliche Kalkulation in der Kapitalrechnung eines heutigen Betriebs die Form der Geldrechnung tatsächlich schon ohne diese Schwierigkeiten an. Aber mindestens zum Teil nicht zufällig. Sondern z.B. bei den »Abschreibungen« deshalb, weil dies diejenige Form der Vorsorge für die Zukunftsbedingungen der Produktion des Betriebes ist, welche die maximal anpassungsbereite Bewegungsfreiheit (die ja bei jeder realen Aufspeicherung von Vorräten oder [bei] gleichviel welchen anderen rein naturalen Vorsorgemaßregeln ohne dieses Kontrollmittel irrational und schwer gehemmt wäre) mit maximaler Sicherheit verbindet. Es ist schwer abzusehen, welche Form denn bei Naturalrechnung »Rücklagen« haben sollten, die nicht spezifiziert wären. Ferner aber ist innerhalb eines Unternehmens die Frage: ob und welche seiner Bestandteile, rein technisch-natural angesehen, irrational (= unrentabel) arbeiten und weshalb?, d.h. welche Bestandteile des naturalen Aufwandes (kapitalrechnerisch: der »Kosten«) zweckmäßigerweise erspart oder, und vor allem: anderweit rationaler verwendet werden könnten?, zwar relativ leicht und sicher aus einer Nachkalkulation der buchmäßigen »Nutzen«- und »Kosten«- Verhältnisse in Geld – wozu als Index auch die Kapitalzinsbelastung des Kontos gehört –, äußerst schwer aber und überhaupt nur in sehr groben Fällen und Formen durch Naturalrechnung gleichviel welcher Art zu ermitteln. (Es dürfte sich schon hierbei nicht um zufällige, durch »Verbesserungen« der Rechnungsmethode zu lösende, sondern um prinzipielle Schranken jedes Versuchs wirklich exakter Naturalrechnung handeln. Doch könnte dies immerhin bestritten werden, wenn auch natürlich nicht mit Argumenten aus dem Taylor-System und mit der Möglichkeit, durch irgendwelche Prämien- oder Point-Rechnung »Fortschritte« ohne Geldverwendung zu erzielen. Die Frage wäre ja gerade: wie man entdeckt, an welcher Stelle eines Betriebs diese Mittel eventuell in Ansatz zu bringen wären, weil gerade an dieser Stelle noch zu beseitigende Irrationalitäten stecken, – die ihrerseits exakt zu ermitteln, die Naturalrechnung eben auf Schwierigkeiten stößt, welche einer Nachkalkulation durch Geldrechnung nicht erwachsen). Die Naturalrechnung als Grundlage einer Kalkulation in Betrieben (die bei ihr als heterokephale und heteronome Betriebe einer planwirtschaftlichen Leitung der Güterbeschaffung zu denken wären) findet ihre Rationalitätsgrenze am Zurechnungsproblem, welches für sie ja nicht in der einfachen Form der buchmäßigen Nachkalkulation, sondern in jener höchst umstrittenen Form auftritt, die es in der »Grenznutzlehre« besitzt. Die Naturalrechnung müßte ja zum Zwecke der rationalen Dauerbewirtschaftung von Beschaffungsmitteln »Wert-Indices« für die einzelnen Objekte ermitteln, welche die Funktion der »Bilanz-Preise« in der heutigen Kalkulation zu übernehmen hätten. Ohne daß abzusehen wäre, wie sie denn entwickelt und kontrolliert werden könnten: einerseits für jeden Betrieb (standortmäßig) verschieden, andrerseits einheitlich unter Berücksichtigung der »gesellschaftlichen Nützlichkeit«, d.h. des (jetzigen und künftigen) Konsumbedarfs?
Mit der Annahme, daß sich ein Rechnungssystem »schon finden« bzw. erfinden lassen werde, wenn man das Problem der geldlosen Wirtschaft nur resolut anfasse, ist hier nicht geholfen: das Problem ist ein Grundproblem aller »Vollsozialisierung«, und von einer rationalen »Planwirtschaft« jedenfalls kann keine Rede sein, solange in dem alles entscheidenden Punkt kein Mittel zur rein rationalen Aufstellung eines »Planes« bekannt ist.
Die Schwierigkeiten der Naturalrechnung wachsen weiter, wenn ermittelt werden soll: ob ein gegebener Betrieb mit konkreter Produktionsrichtung an dieser Stelle seinen rationalen Standort habe oder – stets: vom Standpunkt der Bedarfsdeckung einer gegebenen Menschengruppe – an einer andern, möglichen, Stelle, und ob ein gegebener naturaler Wirtschaftsverband vom Standpunkt rationalster Verwendung der Arbeitskräfte und Rohmaterialien, die ihm verfügbar sind, richtiger durch »Kompensationstausch« mit anderen oder durch Eigenherstellung sich bestimmte Produkte beschafft. Zwar sind die Grundlagen der Standortsbestimmung natürlich rein naturale, und auch ihre einfachsten Prinzipien sind in Naturaldaten formulierbar (s. darüber Alfred Weber im G.d.S., VI. Abt.). Aber die konkrete Feststellung: ob nach den an einem konkreten Ort gegebenen standortswichtigen Umständen ein Betrieb mit einer bestimmten Produktionsrichtung oder ein anderer mit einer modifizierten rational wäre, ist – von absoluter Ortsgebundenheit durch Monopolrohstoffvorkommen abgesehen – naturalrechnungsmäßig nur in ganz groben Schätzungen möglich, geldrechnungsmäßig aber trotz der Unbekannten, mit denen stets zu rechnen ist, eine im Prinzip stets lösbare Kalkulationsaufgabe. Die davon wiederum verschiedene Vergleichung endlich der Wichtigkeit, d.h. Begehrtheit, spezifisch verschiedener Güterarten, deren Herstellung oder Eintausch nach den gegebenen Verhältnissen gleich möglich ist: ein Problem, welches in letzter Linie in jede einzelne Betriebskalkulation mit seinen Konsequenzen hineinreicht, unter Geldrechnungsverhältnissen die Rentabilität entscheidend bestimmt und damit die Richtung der Güterbeschaffung der Erwerbsbetriebe bedingt, ist für eine Naturalrechnung prinzipiell überhaupt nur löslich in Anlehnung entweder: an die Tradition, oder: an einen diktatorischen Machtspruch, der den Konsum eindeutig (einerlei ob ständisch verschieden oder egalitär) reguliert und: Fügsamkeit findet. Auch dann aber bliebe die Tatsache bestehen: daß die Naturalrechnung das Problem der Zurechnung der Gesamtleistung eines Betriebes zu den einzelnen »Faktoren« und Maßnahmen nicht in der Art zu lösen vermag, wie dies die Rentabilitätsrechnung in Geld nun einmal leistet, daß also gerade die heutige Massen versorgung durch Massen betriebe ihr die stärksten Widerstände entgegenstellt.