§ 38. Formen der Finanzierung politischer Verbände


§ 38. Am unmittelbarsten ist die Beziehung zwischen Wirtschaft und (primär) außer wirtschaftlich orientierten Verbänden bei der Art der Beschaffung der Nutzleistungen für das Verbandshandeln: das Handeln des Verwaltungsstabs als solchen und das von ihm geleitete Handeln (Kap. I § 12), selbst (»Finanzen« im weitesten, auch die Naturalbeschaffung einbeziehenden Wortsinn).

Die »Finanzierung«, d.h. die Ausstattung mit bewirtschafteten Nutzleistungen, eines Verbandshandelns, kann – in einer Übersicht der einfachsten Typen – geordnet sein

I. unstet, und zwar:

a) auf Grundlage rein freiwilliger Leistungen, und dies

α. mäzenatisch: durch Großgeschenke und Stiftungen: für karitative, wissenschaftliche und andere nicht primär ökonomische oder politische Zwecke typisch.

β. durch Bettel: für bestimmte Arten asketischer Gemeinschaften typisch.

 

Doch finden sich in Indien auch profane Bettlerkasten, anderwärts (besonders in China) Bettlerverbände.

Der Bettel kann dabei weitgehend (sprengelhaft) und monopolistisch systematisiert werden und, infolge der Pflichtmäßigkeit oder Verdienstlichkeit für die Angebettelten, material aus dem unsteten in den Abgabencharakter übergehen.

 

γ. durch formal freiwillige Geschenke an politisch oder sozial als übergeordnet Geltende: Geschenke an Häuptlinge, Fürsten, Patrone, Leib- und Grundherren, die durch Konventionalität material dem Charakter von Abgaben nahestehen können, regelmäßig aber nicht zweckrational, sondern durch Gelegenheiten (bestimmte Ehrentage, Familienereignisse, politische Ereignisse) bestimmt sind.

Die Unstetheit kann ferner bestehen:

b) auf Grundlage erpreßter Leistungen.

 

Typus: die Camorra in Süditalien, die Mafia in Sizilien, und ähnliche Verbände in Indien: die rituell besonderten sog. »Diebs«- und »Räuberkasten«, in China: Sekten und Geheimverbände mit ähnlicher ökonomischer Versorgung. Die Leistungen sind nur primär, weil formal »unrechtlich«: unstet; praktisch nehmen sie oft den Charakter von »Abonnements« an, gegen deren Entrichtung bestimmte Gegenleistungen, namentlich: Sicherheitsgarantie, geboten werden –: Äußerung eines Neapolitaner Fabrikanten vor ca. 20 Jahren zu mir, auf Bedenken wegen der Wirksamkeit der Camorra [in Bezugl auf Betriebe: »Signore, la Camorra mi prende x lire nel mese, ma garantisce la sicurezza, – lo Stato me ne prende 10 × x e garantisce – niente.« (Die namentlich in Afrika typischen Geheimklubs – Rudimente des einstigen »Männerhauses«– fungieren ähnlich (feme-artig) und garantieren so die Sicherheit.)

Politische Verbände können (wie der ligurische Räuberstaat) primär (nie dauernd ausschließlich) auf reinem Beutegewinn ruhen.

 

Die Finanzierung kann geordnet sein

II. stetig, und zwar:

A. ohne wirtschaftlichen Eigenbetrieb:

a) durch Abgabe in Sachgütern:

α. rein geldwirtschaftlich: Erwerb der Mittel durch Geldabgaben und Versorgung durch Geldeinkauf der benötigten Nutzleistungen (reine Geldabgaben- Verbandswirtschaft). Alle Gehälter des Verwaltungsstabs sind Geldgehälter.

β. Rein naturalwirtschaftlich (s. § 12): Umlagen mit Naturallieferungsspezifikation (reine Naturalleistungsverbandwirtschaft). Möglichkeiten:

αα) Die Ausstattung des Verwaltungsstabs erfolgt durch Naturalpräbenden und die Deckung des Bedarfs erfolgt in natura. Oder

ββ) die in Naturalien erhobenen Abgaben werden ganz oder teilweise durch Verkauf zu Geld gemacht, und die Bedarfsdeckung erfolgt insoweit geldwirtschaftlich.

Die Abgaben selbst, sowohl in Geld wie in Naturalien, können in allen Fällen in ihren ökonomisch elementarsten Typen sein

α. Steuern, d.h. Abgaben von

αα) allem Besitz oder, geldwirtschaftlich, Vermögen,

ββ) allen Einkünften oder, geldwirtschaftlich, Einkommen,

γγ) nur vom Beschaffungsmittelbesitz oder von Erwerbsbetrieben bestimmter Art (sogenannte »Ertragsabgaben«). – Oder sie können sein:

β. Gebühren, d.h. Leistungen aus Anlaß der Benutzung oder Inanspruchnahme von Verbandseinrichtungen, Verbandsbesitz oder Verbandsleistungen. – Oder:

γ. Auflagen auf:

αα) Ge- und Verbrauchshandlungen spezifizierter Art,

ββ) Verkehrsakte spezifizierter Art. Vor allem:

1. Gütertransportbewegungen (Zölle),

2. Güterumsatzbewegungen (Akzisen und Umsatzabgaben).

Alle Abgaben können ferner:

1. in Eigenregie erhoben, oder

2. verpachtet oder

3. verliehen oder verpfändet werden. Die Verpachtung (gegen Geldpauschale) kann fiskalisch rational, weil allein die Möglichkeit der Budgetierung bietend, wirken.

Verleihung und Verpfändung sind fiskalisch meist irrational bedingt, und zwar durch

α. finanzielle Notlage, oder

β. Usurpationen des Verwaltungsstabes: Folge des Fehlens eines verläßlichen Verwaltungsstabes.

Dauernde Appropriation von Abgabenchancen durch Staatsgläubiger, private Garanten der Militär- und Steuerleistung, unbezahlte Kondottiere und Soldaten, »endlich« Amtsanwärter soll »Verpfründung« heißen. Sie kann die Form annehmen

1. der individuellen Appropriation, oder

2. der kollektiven Appropriation (mit freier Neubesetzung aus dem Kreise der kollektiv Appropriierten).

Die Finanzierung ohne wirtschaftlichen Eigenbetrieb (II A) kann ferner erfolgen:

b) durch Auflage persönlicher Leistungen: unmittelbare persönliche Naturaldienste mit Naturalleistungsspezifikation. – Die stetige Finanzierung kann des weiteren, im Gegensatz zu den Fällen II A:

II. B. Durch wirtschaftlichen Eigen betrieb:

α. haushaltsmäßig (Oikos, Domänen),

β. erwerbswirtschaftlich

αα) frei, also in Konkurrenz mit anderen Erwerbswirtschaften, und

ßß) monopolistisch erfolgen.

Wiederum kann die Nutzung im Eigenbetrieb oder durch Verpachtung, Verleihung und Verpfändung erfolgen. – Sie kann endlich, anders als in den Fällen sowohl II A wie II B, erfolgen:

II. C. leiturgisch durch privilegierende Belastung:

α. positiv privilegierend: durch Lastenfreiheit spezifizierter Menschengruppen von bestimmten Leistungen, oder (damit eventuell identisch):

β. negativ privilegierend: durch Vorbelastung spezifizierter Menschengruppen – insbesondere bestimmter

αα) Stände, oder

ββ) Vermögensklassen – mit bestimmten Leistungen, – oder:

γ. korrelativ: durch Verknüpfung spezifizierter Monopole mit der Vorbelastung durch spezifizierte Leistungen oder Lieferungen. Dies kann geschehen:

αα) ständisch: durch Zwangsgliederung der Verbandsgenossen in (oft) erblich geschlossenen leiturgischen Besitz- und Berufsverbänden mit Verleihung ständischer Privilegien,

ββ) kapitalistisch: durch Schaffung geschlossener Gilden oder Kartelle mit Monopolrechten und mit Vorbelastung durch Geldkontributionen.

 

Zu II:

Die (ganz rohe) Kasuistik gilt für Verbände aller Art. Hier wird nur an den politischen Verbänden exemplifiziert.

Zu A, a, α: Die moderne staatliche Steuerordnung auch nur in Umrissen zu analysieren, liegt an dieser Stelle natürlich ganz fern. Es wird vielmehr erst weiterhin der »soziologische Ort«, d.h. jener Typus von Herrschaftsverhältnis, der bestimmten Abgabenarten (z.B. den Gebühren, Akzisen, Steuern) typisch zur Entstehung verhalf, zu erörtern sein.

Die Naturalabgabe, auch bei Gebühren, Zöllen, Akzisen, Umsatzabgaben ist noch im ganzen Mittelalter häufig gewesen, ihr geldwirtschaftlicher Ersatz relativ modern.

Zu a, β. Naturallieferungen: Typisch in Form von Tributen und Umlagen von Erzeugnissen auf abhängige Wirtschaften. Die Naturalversendung ist nur bei kleinen Verbänden oder sehr günstigen Verkehrsbedingungen möglich (Nil, Kaiserkanal). Sonst müssen die Abgaben in Geld verwandelt werden, um an den letzten Empfänger zu gelangen (so vielfach in der Antike), oder sie müssen je nach der Entfernung in Objekte verschiedenen spezifischen Preises umgelegt werden (so angeblich im alten China).

Zu A, b. Beispiele: Heeresdienst-, Gerichtsdienst-, Geschworenen-, Wege- und Brückenbau-, Deich-, Bergarbeits-Pflicht und alle Arten von Robott für Verbandspflichten bei Verbänden aller Art. Typus der Fronstaaten: Altägypten (neues Reich), zeitweise China, in geringerem Maß Indien und in noch geringerem das spätrömische Reich und zahlreiche Verbände des frühen Mittelalters. –

Typus der Verpfründung: 1. an die Amtsanwärterschaft kollektiv: China, – 2. an private Garanten der Militär- und Steuerleistungen: Indien, – 3. an unbezahlte Kondottiere und Soldaten: das späte Khalifat und die Mamelûkenherrschaft, – 4. an Staatsgläubiger: der überall verbreitete Ämterkauf.

Zu B, α. Beispiele: Domänenbewirtschaftung für den Haushalt in eigener Regie, Benutzung der Robottpflicht der Untertanen zur Schaffung von Bedarfsdeckungsbetrieben (Ägypten) für Hofhalts- und politische Zwecke, modern etwa: Korps-Bekleidungsämter und staatliche Munitionsfabriken.

Zu B, β. Für den Fall aa nur Einzelbeispiele (Seehandlung usw.). Für den Fall ββ zahlreiche Beispiele in allen Epochen der Geschichte, Höhepunkt im Okzident: 16. bis 18. Jahrhundert.

Zu C. Für α: Beispiele: Die Entlastung der Literaten von den Fronden in China, privilegierter Stände von den sordida munera in aller Welt, der Bildungsqualifizierten vom Militärdienst in zahlreichen Ländern.

Für β: einerseits Vorbelastung der Vermögen mit Leiturgien in der antiken Demokratie; andererseits: der von den Lasten in den Beispielen unter a nicht entlasteten Gruppen.

Für γ: Der Fall aa ist die wichtigste Form systematischer Deckung der öffentlichen Bedürfnisse auf anderer Grundlage als der des »Steuerstaates«. China sowohl wie Indien und Ägypten, also die Länder ältester (Wasserbau-) Bureaukratie haben die leiturgische Organisation als Naturallasten-Leiturgie gekannt und von da ist sie (teilweise) im Hellenismus und im spätrömischen Reich verwertet worden, freilich dort in wesentlichen Teilen als geldwirtschaftliche Steuer-, nicht als Naturallasten-Leiturgie. Stets bedeutet sie berufsständische Gliederung. In dieser Form kann sie auch heute wiederkehren, wenn die steuerstaatliche öffentliche Bedarfsdeckung versagen und die kapitalistische private Bedarfsdeckung staatlich reguliert werden sollte. Bisher ist bei Finanzklemmen der modernen Art der öffentlichen Bedarfsdeckung der Fall ββ adäquat gewesen: Erwerbsmonopole gegen Lizenzen und Kontribution (einfachstes Beispiel: Zwangskontrollierung von Pulverfabriken mit Monopolschutz gegen Neugründungen und hoher laufender Kontribution an die Staatskasse in Spanien). Es liegt der Gedanke sehr nahe, die »Sozialisierung« der einzelnen Branchen von Erwerbsbetrieben, von der Kohle angefangen, in dieser Art: durch Verwendung von Zwangskartellen oder Zwangsvertrustungen als Steuerträgern, fiskalisch nutzbar zu machen, da so die (formal) rationale preis orientierte Güterbeschaffung bestehen bleibt.


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