§ 1. Wirtschaften. Begriff und Technik
5. Nicht jedes in seinen Mitteln rationale Handeln soll »rationales Wirtschaften« oder überhaupt »Wirtschaften« heißen. Insbesondre soll der Ausdruck »Wirtschaft« nicht identisch mit »Technik« gebraucht werden. »Technik« eines Handelns bedeutet uns den Inbegriff der verwendeten Mittel desselben im Gegensatz zu jenem Sinn oder Zweck, an dem es letztlich (in concreto) orientiert ist, »rationale« Technik eine Verwendung von Mitteln, welche bewußt und planvoll orientiert ist an Erfahrungen und Nachdenken, im Höchstfall der Rationalität: an wissenschaftlichem Denken. Was in concreto als »Technik« gilt, ist daher flüssig: der letzte Sinn eines konkreten Handelns kann, in einen Gesamtzusammenhang von Handeln gestellt, »technischer« Art, d.h. Mittel im Sinn jenes umfassenderen Zusammenhanges sein; für das konkrete Handeln ist aber dann diese (von jenem aus gesehen:) technische Leistung der »Sinn«, und die von ihm dafür angewendeten Mittel sind seine »Technik«. Technik in diesem Sinn gibt es daher für alles und jedes Handeln: Gebetstechnik, Technik der Askese, Denk- und Forschungstechnik, Mnemotechnik, Erziehungstechnik, Technik der politischen oder hierokratischen Beherrschung, Verwaltungstechnik, erotische Technik, Kriegstechnik, musikalische Technik (eines Virtuosen z.B.), Technik eines Bildhauers oder Malers, juristische Technik usw., und sie alle sind eines höchst verschiedenen Rationalitätsgrades fähig. Immer bedeutet das Vorliegen einer »technischen Frage«: daß über die rationalsten Mittel Zweifel bestehen. Maßstab des Rationalen ist dabei für die Technik neben andern auch das berühmte Prinzip des »kleinsten Kraftmaßes«: Optimum des Erfolges im Vergleich mit den aufzuwendenden Mitteln (nicht: »mit den – absolut – kleinsten Mitteln«). Das scheinbar gleiche Prinzip gilt nun natürlich auch für die Wirtschaft (wie für jedes rationale Handeln überhaupt). Aber: in anderem Sinn. Solange die Technik in unserem Wortsinn reine »Technik« bleibt, fragt sie lediglich nach den für diesen Erfolg, der ihr als schlechthin und indiskutabel zu erstreben gegeben ist, geeignetsten und dabei, bei gleicher Vollkommenheit, Sicherheit, Dauerhaftigkeit des Erfolges vergleichsweise kräfteökonomischsten Mitteln. Vergleichsweise, nämlich soweit überhaupt ein unmittelbar vergleichbarer Aufwand bei Einschlagung verschiedener Wege vorliegt. Soweit sie dabei reine Technik bleibt, ignoriert sie die sonstigen Bedürfnisse. Ob z.B. ein technisch erforderlicher Bestandteil einer Maschine aus Eisen oder aus Platin herzustellen sei, würde sie – wenn in concreto von dem letzteren genügende Quantitäten für die Erreichung dieses konkreten Erfolgs vorhanden sein sollten, – nur unter dem Gesichtspunkt entscheiden: wie der Erfolg am vollkommensten erreicht wird und bei welchem von beiden Wegen die sonstigen vergleichbaren Aufwendungen dafür (Arbeit z.B.) am geringsten sind. Sobald sie aber weiter auch auf den Seltenheits-Unterschied von Eisen und Platin im Verhältnis zum Gesamtbedarf reflektiert, – wie es heut jeder »Techniker«, schon im chemischen Laboratorium, zu tun gewohnt ist, – ist sie nicht mehr (im hier gebrauchten Wortsinn): »nur technisch« orientiert, sondern daneben wirtschaftlich. Vom Standpunkt des »Wirtschaftens« aus gesehen bedeuten »technische« Fragen: daß die »Kosten « erörtert werden: eine für die Wirtschaft stets grundlegend wichtige, aber: eine Frage, die ihrem Problemkreis stets in der Form angehört: wie stellt sich die Versorgung anderer (je nachdem: qualitativ verschiedener jetziger oder qualitativ gleichartiger zukünftiger) Bedürfnisse, wenn für dies Bedürfnis jetzt diese Mittel verwendet werden. (Ähnlich die Ausführungen von v. Gottl, Grundriß der Sozialökonomik, Abt. II, 2; ausführlich und sehr gut: die Erörterungen von R. Liefmann, Grunds. d. Volkswirtschaftslehre, I. Band, S. 334 ff. [2. Aufl. 1920, S. 327 ff.]. Irrig ist die Reduktion aller »Mittel« auf »letztlich Arbeitsmühe«.)
Denn die Frage: was, vergleichsweise, die Verwendung verschiedener Mittel für einen technischen Zweck »kostet«, ist letztlich verankert an der Verwendbarkeit von Mitteln (darunter vor allem auch: von Arbeitskraft) für verschiedene Zwecke. »Technisch« (im hier gebrauchten Wortsinn) ist das Problem z.B.: welche Arten von Veranstaltungen getroffen werden müssen, um Lasten bestimmter Art bewegen oder um Bergwerksprodukte aus einer gewissen Tiefe fördern zu können, und welche von ihnen am »zweckmäßigsten«, d.h. u.a. auch: mit dem vergleichsweisen (zum Erfolg) Mindestmaß von aktueller Arbeit zum Ziele führen. »Wirtschaftlich« wird das Problem bei der Frage: ob – bei Verkehrswirtschaft: sich diese Aufwendungen in Geld, durch Absatz der Güter bezahlt machen, ob – bei Planwirtschaft: – die dafür nötigen Arbeitskräfte und Produktionsmittel ohne Schädigung von andern, für wichtiger gehaltenen Versorgungsinteressen zur Verfügung gestellt werden können? – was beide Male ein Problem der Vergleichung von Zwecken ist. Wirtschaft ist primär orientiert am Verwendungszweck, Technik am Problem der (bei gegebenem Ziel) zu verwendenden Mittel. Daß ein bestimmter Verwendungszweck überhaupt dem technischen Beginnen zugrunde liegt, ist für die Frage der technischen Rationalität rein begrifflich (nicht natürlich: tatsächlich) im Prinzip gleichgültig. Rationale Technik gibt es nach der hier gebrauchten Definition auch im Dienst von Zwecken, für die keinerlei Begehr besteht. Es könnte z.B. jemand etwa, um rein »technischer« Liebhabereien willen, mit allem Aufwand modernster Betriebsmittel atmosphärische Luft produzieren, ohne daß gegen die technische Rationalität seines Vorgehens das geringste einzuwenden wäre: wirtschaftlich wäre das Beginnen in allen normalen Verhältnissen irrational, weil irgendein Bedarf nach Vorsorge für die Versorgung mit diesem Erzeugnis nicht vorläge (vgl. zum Gesagten: v. Gottl-Ottlilienfeld im G.d.S. II, 2). Die ökonomische Orientiertheit der heute sog. technologischen Entwicklung an Gewinnchancen ist eine der Grundtatsachen der Geschichte der Technik. Aber nicht ausschließlich diese wirtschaftliche Orientierung, so grundlegend wichtig sie war, hat der Technik in ihrer Entwicklung den Weg gewiesen, sondern z. T. Spiel und Grübeln weltfremder Ideologen, z. T. jenseitige oder phantastische Interessen, z. T. künstlerische Problematik und andre außerwirtschaftliche Motive. Allerdings liegt von jeher und zumal heute der Schwerpunkt auf der ökonomischen Bedingtheit der technischen Entwicklung; ohne die rationale Kalkulation als Unterlage der Wirtschaft, also ohne höchst konkrete wirtschaftsgeschichtliche Bedingungen, würde auch die rationale Technik nicht entstanden sein.
Daß hier nicht gleich in den Anfangsbegriff das für den Gegensatz gegenüber der Technik Charakteristische ausdrücklich aufgenommen ist, folgt aus dem soziologischen Ausgangspunkt. Aus der »Kontinuierlichkeit« folgt für die Soziologie pragmatisch die Abwägung der Zwecke gegeneinander und gegen die »Kosten« (soweit diese etwas anderes sind als Verzicht auf einen Zweck zugunsten dringlicherer). Eine Wirtschaftstheorie würde im Gegensatz dazu wohl gut tun, sofort dies Merkmal einzufügen.
6. Im soziologischen Begriff des »Wirtschaftens« darf das Merkmal der Verfügungsgewalt nicht fehlen, schon weil wenigstens die Erwerbswirtschaft sich ganz und gar in Tauschverträgen, also planvollem Erwerb von Verfügungsgewalt, vollzieht. (Dadurch wird die Beziehung zum »Recht« hergestellt.) Aber auch jede andere Organisation der Wirtschaft würde irgend eine tatsächliche Verteilung der Verfügungsgewalt bedeuten, nur nach ganz anderen Prinzipien als die heutige Privatwirtschaft, die sie autonomen und autokephalen Einzel wirtschaften rechtlich garantiert. Entweder die Leiter (Sozialismus) oder die Glieder (Anarchismus) müssen auf Verfügungsgewalt über die gegebenen Arbeitskräfte und Nutzleistungen zählen können: das läßt sich nur terminologisch verschleiern, aber nicht fortinterpretieren. Wodurch – ob konventional oder rechtlich – diese Verfügung garantiert oder ob sie etwa äußerlich gar nicht garantiert ist, sondern nur kraft Sitte oder Interessenlage auf die Verfügung faktisch (relativ) sicher gezählt werden kann, ist an sich begrifflich irrelevant, so zweifellos für die moderne Wirtschaft die Unentbehrlichkeit der rechtlichen Zwangsgarantien sein mag: Die begriffliche Unentbehrlichkeit jener Kategorie für die wirtschaftliche Betrachtung sozialen Handelns bedeutet also nicht etwa eine begriffliche Unentbehrlichkeit der rechtlichen Ordnung der Verfügungsgewalten, mag man diese empirisch für noch so unentbehrlich ansehen.
7. Unter den Begriff »Verfügungsgewalt« soll hier auch die – faktische oder irgendwie garantierte – Möglichkeit der Verfügung über die eigene Arbeitskraft gefaßt werden (sie ist – bei Sklaven – nicht selbstverständlich).
8. Eine soziologische Theorie der Wirtschaft ist genötigt, alsbald den »Güter« – Begriff in ihre Kategorien einzustellen (wie dies § 2 geschieht). Denn sie hat es mit jenem »Handeln« zu tun, dem das Resultat der (nur theoretisch isolierbaren) Überlegungen der Wirtschaftenden seinen spezifischen Sinn verleiht. Anders kann (vielleicht) die Wirtschaftstheorie verfahren, deren theoretische Einsichten für die Wirtschaftssoziologie – so sehr diese nötigenfalls sich eigene Gebilde schaffen müßte – die Grundlage bilden.