[Antinomien der Allegorese]
Dieser Umstand führt auf die Antinomien des Allegorischen, deren dialektische Abhandlung sich nicht umgehen läßt, wenn anders das Bild der Trauerspiele beschworen sein will. Jede Person, jedwedes Ding, jedes Verhältnis kann ein beliebiges anderes bedeuten. Diese Möglichkeit spricht der profanen Welt ein vernichtendes doch gerechtes Urteil: sie wird gekennzeichnet als eine Welt, in der es aufs Detail so streng nicht ankommt. Doch wird, und dem zumal, dem allegorische Schriftexegese gegenwärtig ist, ganz unverkennbar, daß jene Requisiten des Bedeutens alle mit eben ihrem Weisen auf ein anderes eine Mächtigkeit gewinnen, die den profanen Dingen inkommensurabel sie erscheinen läßt und sie in eine höhere Ebene hebt, ja heiligen kann. Demnach wird die profane Welt in allegorischer Betrachtung sowohl im Rang erhoben wie entwertet. Von dieser religiösen Dialektik des Gehalts ist die von Konvention und Ausdruck das formale Korrelat. Denn die Allegorie ist beides, Konvention und Ausdruck; und beide sind von Haus aus widerstreitend. Doch so wie die barocke Lehre überhaupt Geschichte als erschaffenes Geschehn begriff, gilt insbesondere die Allegorie, wennschon als Konvention wie jede Schrift, so doch als geschaffene wie die heilige. Die Allegorie des siebzehnten Jahrhunderts ist nicht Konvention des Ausdrucks, sondern Ausdruck der Konvention. Ausdruck der Autorität mithin, geheim der Würde ihres Ursprungs nach und öffentlich nach dem Bereiche ihrer Geltung. Und wiederum die gleiche Antinomik ist's, die bildnerisch begegnet im Konflikt der kalten schnellfertigen Technik mit dem eruptiven Ausdruck der Allegorese. Auch hier eine dialektische Lösung. Sie liegt im Wesen der Schrift selber. Von der offenbarten Sprache nämlich läßt ohne Widerspruch ein lebendiger, freier Gebrauch, in welchem sie nichts von ihrer Würde verlöre, sich denken. Nicht so von deren Schrift, als welche die Allegorie sich zu geben suchte. Die Heiligkeit der Schrift ist vom Gedanken ihrer strengen Kodifikation untrennbar. Denn alle sakrale Schrift fixiert sich in Komplexen, die zuletzt einen einzigen und unveränderlichen ausmachen oder doch zu bilden trachten. Daher entfernt sich die Buchstabenschrift als eine Kombination von Schriftatomen am weitesten von der Schrift sakraler Komplexe. Diese prägen in der Hieroglyphik sich aus. Will die Schrift sich ihres sakralen Charakters versichern — immer wieder wird der Konflikt von sakraler Geltung und profaner Verständlichkeit sie betreffen —, so drängt sie zu Komplexen, zur Hieroglyphik. Das geschieht im Barock. Äußerlich und stilistisch — in der Drastik des Schriftsatzes wie in der überladenen Metapher — drängt das Geschriebene zum Bilde. Kein härterer Gegensatz zum Kunstsymbol, dem plastischen Symbol, dem Bilde der organischen Totalität ist denkbar als dies amorphe Bruchstück, als welches das allegorische Schriftbild sich zeigt. In ihm erweist sich das Barock als souveränes Gegenspiel der Klassik, wie man bisher in der Romantik nur es anerkennen wollte. Und es ist die Versuchung nicht abzuweisen, in beiden die Konstante zu ergründen. In beiden: in Romantik wie Barock handelt es sich nicht sowohl um ein Korrektiv der Klassik als um eines der Kunst selbst. Und jenem kontrastierenden Präludium der Klassik, dem Barock, ist eine höhere Konkretion, ja bessere Autorität und dauerndere Geltung dieser Korrektur kaum abzusprechen. Wo die Romantik in dem Namen der Unendlichkeit, der Form und der Idee das vollendete Gebilde kritisch potenziert,1 da verwandelt mit einem Schlage der allegorische Tiefblick Dinge und Werke in erregende Schrift. Eindringlich ist ein solcher Blick noch in Winckelmanns »Beschreibung des Torso des Hercules im Belvedere zu Rom«2: wie er Stück für Stück, Glied für Glied in unklassischem Sinne ihn durchgeht. Nicht umsonst vollzieht sich das am Torso. Das Bild im Feld der allegorischen Intuition ist Bruchstück, Rune. Seine symbolische Schönheit verflüchtigt sich, da das Licht der Gottesgelahrtheit drauf trifft. Der falsche Schein der Totalität geht aus. Denn das Eidos verlischt, das Gleichnis geht ein, der Kosmos darinnen vertrocknet. In den dürren rebus, die bleiben, liegt Einsicht, die noch dem verworrenen Grübler greifbar ist. Unfreiheit, Unvollendung und Gebrochenheit der sinnlichen, der schönen Physis zu gewahren, war wesensmäßig dem Klassizismus versagt. Gerade diese aber trägt die Allegorie des Barock, verborgen unter ihrem tollen Prunk, mit vordem ungeahnter Betonung vor. Eine gründliche Ahnung von der Problematik der Kunst — es war durchaus nicht nur ständische Ziererei, sondern religiöser Skrupel, der die Beschäftigung mit ihr den »Nebenstunden« zuweist — tritt als Rückschlag ihrer renaissancistischen Selbstherrlichkeit auf. Wenn die Künstler und Denker des Klassizismus sich nicht mit dem, was ihnen Fratze war, beschäftigt haben, so geben Sätze der neukantischen Ästhetik einen Begriff von der Schärfe der Kontroverse. Die Dialektik dieses Ausdrucks wird verkannt und als Zweideutigkeit verdächtigt. »Zweideutigkeit aber, Mehrdeutigkeit ist der Grundzug der Allegorie; auf den Reichtum von Bedeutungen ist die Allegorie, ist der Barock stolz. Diese Zweideutigkeit aber ist der Reichtum der Verschwendung; die Natur hingegen ist nach den alten Regeln der Metaphysik, wie nicht minder auch nach denen der Mechanik, nicht zuletzt an das Gesetz der Sparsamkeit gebunden. Zweideutigkeit ist daher überall der Widerspruch zur Reinheit und Einheit der Bedeutung.«3 Nicht weniger doktrinär Erörterungen von einem Schüler Hermann Cohens, Carl Horst, der durch das Thema der »Barockprobleme« zu einer konkreteren Betrachtung gehalten war. Dem ungeachtet heißt's von der Allegorie, daß sie »immer ein ›Überschreiten der Grenzen der anderen Art‹, ein Übertreten der bildenden Künste ins Darstellungsgebiet der ›redenden‹ zu erkennen gibt. Und solche Grenzverletzung« fährt der Autor fort, »rächt sich nirgends unnachsichtiger als in der reinen Gefühlskultur, die den rein gehaltenen ›bildenden Künsten‹ mehr obliegt als den ›redenden‹, und jene so der Musik näher stellt ... In dem kaltsinnigen Durchdringen der verschiedenartigsten menschlichen Äußerungsweisen mit herrschsüchtigen Gedanken ... wird ... Kunstgefühl und -verständnis abgelenkt und vergewaltigt werden. Das verrichtet die Allegorie im Felde der ›bildenden‹ Künste. Man könnte ihr Eindringen deshalb als groben Unfug gegen Ruhe und Ordnung künstlerischer Gesetzmäßigkeit bezeichnen. Und doch hat sie niemals in ihrem Reiche gefehlt, und größte Bildner haben ihr große Werke gewidmet.«4 Dieses Faktum allein hätte selbstverständlich eine andere Betrachtungsweise der Allegorie veranlassen müssen. Die undialektische Denkweise der neukantischen Schule ist nicht befähigt, die Synthese zu fassen, die in der allegorischen Schrift aus dem Kampf von theologischer und künstlerischer Intention im Sinne nicht sowohl eines Friedens als einer treuga dei zwischen den widerstreitenden Meinungen sich ergibt.
- Cf. Benjamin: Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik l.c. [S. 175]. S. 105. [Schriften. 2, l.c. [S. 31 f.]. S. 519 f.]↩
- Johann [Joachim] Winckelmann: Versuch einer Allegorie besonders für die Kunst. Säcularausgabe. Aus des Verfassers Handexemplar mit vielen Zusätzen von seiner Hand, sowie mit inedirten Briefen Winckelmann's und gleichzeitigen Aufzeichnungen über seine letzten Stunden hrsg. von Albert Dressel. Mit einer Vorbemerkung von Constantin Tischendorf. Leipzig 1866. S. 143 ff.↩
- Hermann Cohen: Ästhetik des feinen Gefühls. Bd 2. (System der Philosophie. 3.) Berlin 1912. S. 305.↩
- Carl Horst: Barockprobleme. München 1912. S. 39 f.; cf. auch S. 41 f.↩