Zum Hauptinhalt springen
[Sprachtheoretisches aus dem Barock]

Diese Dichtung war in der Tat unfähig, den derart ins bedeutende Schriftbild gebannten Tiefsinn im beseelten Laut zu entbinden. Ihre Sprache ist voll von materialischem Aufwand. Niemals ist unbeschwingter gedichtet worden. Die Umdeutung der antiken Tragödie ist um nichts befremdender als die neue Hymnenform, die dem — wie immer dunklen und barocken — Schwung des Pindar gleichen wollte. Dem deutschen Trauerspiele des Jahrhunderts ist — mit Baader zu reden — nicht gegeben, sein Hieroglyphisches lautbar zu machen. Denn seine Schrift verklärt sich im Laute nicht; vielmehr bleibt dessen Welt ganz selbstgenugsam auf die Entfaltung ihrer eigenen Wucht bedacht. Schrift und Laut stehen in hochgespannter Polarität einander gegenüber. Ihr Verhältnis begründet eine Dialektik, in deren Licht der ›Schwulst‹ als durch und durch planvolle, konstruktive Sprachgeberde sich rechtfertigt. Die Wahrheit zu sagen, fällt diese Ansicht der Sache, als der reichsten und glücklichsten eine, dem, der die Quellenschriften aufgeschlossen vornimmt, in den Schoß. Nur wo ein Schwindel vor der Tiefe ihres Abgrunds die Kraft des forschenden Durchdenkens überwog, konnte der Schwulst zum Popanz der epigonalen Stilistik werden. Die Kluft zwischen bedeutendem Schriftbild und berauschendem Sprachlaut nötigt, wie das gefestete Massiv der Wortbedeutung in ihr aufgerissen wird, den Blick in die Sprachtiefe. Und wiewohl das Barock die philosophische Reflexion über dieses Verhältnis nicht kannte, geben Böhmes Schriften nicht zu mißdeutende Winke. Jakob Böhme, der größten Allegoriker einer, hat, wo er auf Sprache zu reden kommt, den Wert des Lautes dem stummen Tiefsinn gegenüber hochgehalten. Er hat die Lehre von der ›sensualischen‹ oder Natur-Sprache entwickelt. Und zwar ist diese nicht — das ist entscheidend — das Lautwerden der allegorischen Welt, als welche vielmehr ins Schweigen gebannt bleibt. ›Wortbarock‹ und ›Bildbarock‹ — wie Cysarz diese Ausdrucksformen nur eben benannt hat — sind polar ineinander fundiert. Unermeßlich ist im Barock die Spannung zwischen Wort und Schrift. Das Wort, so darf man sagen, ist die Ekstase der Kreatur, ist Bloßstellung, Vermessenheit, Ohnmacht vor Gott; die Schrift ist ihre Sammlung, ist Würde, Überlegenheit, Allmacht über die Dinge der Welt. So wenigstens gilt es im Trauerspiel, während in Böhmes freundlicherer Anschauung ein positiveres Bild der Lautsprache steht. »Das ewige Wort oder Göttliche Hall oder Stimme/ welche ein Geist ist/ das hat sich in Formungen als in ein außgesprochen Wort oder Hall mit der Gebährung des grossen Mysterii eingeführet/ und wie das Freuden-spiel im Geiste der ewigen Gebährung in sich selber ist/ also ist auch der Werckzeug/ als die außgesprochene Form in sich selber/ welches der lebendige Hall führet/ und mit seinem eigenen ewigen Willen-geist schläget/ daß es lautet und hallet/ gleich wie eine Orgel von vielen Stimmen mit einer einigen Lufft getrieben wird/ daß eine jede Stimme/ ja eine jede Pfeiffe ihren Thon gibt«1. »Alles was von GOtt geredet/ geschrieben oder gelehret wird/ ohne die Erkäntnüß der Signatur, das ist stumm und ohne Verstand/ dann es kommt nur aus einem historischen Wahn/ von einem andern Mund/ daran der Geist ohne Erkäntnüß stumm ist: So ihm aber der Geist die Signatur eröffnet/ so verstehet er des andern Mund/ und verstehet ferner/ wie sich der Geist ... im Hall mit der Stimme hat offenbahret ... Dann an der äusserlichen Gestaltnüß aller Creaturen/ an ihrem Trieb und Begierde/ item, an ihrem außgehenden Hall/ Stimm oder Sprache/ kennet man den verborgenen Geist ... Ein jedes Ding hat seinen Mund zur Offenbahrung. Und das ist die Natur-sprache/ daraus jedes Ding aus seiner Eigenschafft redet/ und sich immer selber offenbahret«2. Die Lautsprache ist demnach der Bereich der freien, ursprünglichen Äußerung der Kreatur, wogegen das allegorische Schriftbild die Dinge in den exzentrischen Verschränkungen der Bedeutung versklavt. Diese Sprache, wie sie bei Böhme die der seligen, im Vers der Trauerspiele der gefallenen Kreaturen ist, wird als natürlich nicht nur ihrem Ausdruck, vielmehr selbst ihrer Genesis nach angesetzt. »Von den Wörtern ist diese alte Streitfrage/ ob dieselbige(!)/ als äusserliche Anzeigungen unsers inwendigen Sinnbegriffs/ weren von Natur oder Chur/ natürlich oder willkührlich/ physei oder thesei: Und wird von den Gelahrten/ was die Wörter in den Hauptsprachen betrifft/ dieses einer sonderbaren natürlichen Wirckung zugeschrieben«3. Selbstverständlich ging unter den »Hauptsprachen« die »deutsche Haupt- und Heldensprache« — so zum ersten Male in Fischarts »Geschichtklitterung« 1575 — voran. Ihre unmittelbare Abstammung vom Hebräischen war weitverbreitete Theorie und nicht die radikalste. Andere führten das Hebräische, Griechische, Lateinische sogar aufs Deutsche zurück. Man »bewies ...« sagt Borinski, »in Deutschland historisch aus der Bibel, daß ursprünglich die ganze Welt, also auch die des klassischen Altertums, deutsch sei.«4 So suchte man einerseits die entlegensten Bildungsgehalte sich anzueignen, andererseits war man darauf bedacht, das Erkünstelte dieser Haltung zu vertuschen und bemühte sich um eine heftige Verkürzung der historischen Perspektive. Im gleichen atmosphärenlosen Raum ist alles aufgestellt. Was aber die gänzliche Angleichung aller Lautphänomene an einen Urstand der Sprache betrifft, so wurde die bald spiritualistisch, bald ins Naturalistische gewendet. Die Theorie von Böhme und die Praxis der Nürnberger bezeichnen die Extreme. Für beides lag bei Scaliger ein, gewiß nur sachlicher, Ausgangspunkt. Die fragliche Stelle der »Poetik« lautet merkwürdig genug: »In A, latitudo. In I, longitudo. In E, profunditas. In O, coarctatio ... Multum potest ad animi suspensionem, quae in Voto, in Religione: praesertim cum producitur, vt dij. etiam cum corripitur: Pij. Et ad tractum omnen denique designandum, Littora, Lites, Lituus, It, Ira, Mitis, Diues, Ciere, Dicere, Diripiunt ... Dij, Pij, Iit: non sine manifestissima Spiritus profectione. Lituus non sine soni, quem significat, similitudine ... P, tarnen quandam quaerit firmitatem. Agnosco enim in Piget, pudet, poenitet, pax, pugna, pes, paruus, pono, pauor, piger, aliquam fictionem. Parce metu, constantiam quandam insinuat. Et Pastor plenius, quam Castor. sic Plenum ipsum, et Purum, Posco, et alia eiusmodi. T, vero plurimum sese ostentat: Est enim litera sonitus explicatrix, fit namque sonus aut per S, aut per R, aut per T. Tuba, tonitru, tundo. Sed in fine tametsi maximam verborum claudit apud Latinos partem, tarnen in iis, quae sonum afferunt, affert ipsum quoque soni non minus. Rupit enim plus rumpit, quam Rumpo.«5 Analog, unabhängig von Scaliger selbstverständlich, hat Böhme seine Lautspekulationen verfolgt. »Nicht als ein Reich der Wörter, sondern ... in ihre Laute und Klänge aufgelöst«6, steht die Sprache der Kreaturen ihm im Gemüt. »A war ihm der erste Buchstabe, der aus dem Herzen dringt, i das Zentrum der höchsten Liebe, das r weil es ›schnarrt, prasselt und rasselt‹, hat den Charakter des Feuerquelles, s war ihm heiliges Feuer.«7 Man darf annehmen: die Evidenz, welche solche Beschreibungen damals gehabt haben, verdanken sie zum Teil der Lebenskraft der Dialekte, die noch überall in Blüte standen. Denn die Normierungsversuche der Sprachgesellschaften beschränkten sich auf das Schriftdeutsch. — Andrerseits wurde die kreatürliche Sprache naturalistisch als onomatopoetisches Gebilde beschrieben. Buchners Poetik ist dafür bezeichnend und führt darin nur seines Lehrers Opitz Meinung durch.8 Eigentliche Onomatopoetik ist zwar gerade nach Buchner in den Trauerspielen nicht statthaft.9 Aber eben das Pathos ist gewissermaßen der königliche Naturlaut des Trauerspiels. Am weitesten gehen die Nürnberger. Klajus behauptet, »es sei kein Wort im Deutschen, welches nicht Dasjenige, was es bedeute, durch ein ›sonderliches Gleichniß‹ ausdrücke«10. Umgekehrt wendet Harsdörffer den Satz. »Die Natur redet in allen Dingen/ welche ein Getön von sich geben/ unsere Teutsche Sprache/ und daher haben etliche wähnen wollen/ der erste Mensch Adam habe das Geflügel und alle Thier auf Erden nicht anderst als mit unseren Worten nennen können/ weil er jedes eingeborne selbstlautende Eigenschafft Naturmäßig ausgedruket; und ist sich deswegen nicht zu verwundern/ daß unsere Stammwörter meinsten Theils mit der heiligen Sprache gleichstimmig sind.«11 Daraus leitete er die Aufgabe der deutschen Lyrik ab, »diese Sprache der Natur gleichsam in Worten und Rhythmen aufzufangen. Für ihn wie auch für Birken war eine solche Lyrik sogar eine religiöse Forderung, weil Gott es ist, der sich im Rauschen der Wälder ... und im Brausen des Sturmes offenbart.«12 Ähnliches kommt im Sturm und Drang wieder zum Vorschein. »Die allgemeine Sprache der Völker ist Thränen und Seufzer; — ich verstehe auch den hülflosen Hottentotten und werde mit Gott, wenn ich aus Tarent bin, nicht taub sein! ... Der Staub hat Willen, das ist mein erhabenster Gedanke an den Schöpfer, und den allmächtigen Trieb zur Freiheit schätz' ich auch in der sich sträubenden Fliege.«13 Das ist die Philosophie der Kreatur und ihrer Sprache, gelöst aus dem Zusammenhang des Allegorischen.



  1. De signatura rerum, Das ist: Von der Gebuhrt und Bezeichnung aller Wesen ... Eine sehr tieffe Pforte der ewigen und auch anfänglichen äusserlichen Natur und ihrer Gestaltnüssen. Beschrieben durch Jacob Böhme, sonst genannt Teutonicus Philosophus. Amsterdam 1682. S. 208.
  2. L.c. S. 5 u.S. 8 f.
  3. Knesebeck l.c. [S. 211]. ›Kurtzer Vorbericht An den Teutschliebenden und geneigten Leser‹ Bl. aa/bb.
  4. Borinski: Die Antike in Poetik und Kunsttheorie. Bd 2, l.c. [S. 115]. S. 18.
  5. Scaliger l.c. [S. 70]. S. 478 u. S. 481 (IV, 47).
  6. Hankamer l.c. [S. 199]. S. 159.
  7. Josef Nadler: Literaturgeschichte der Deutschen Stämme und Landschaften. Bd 2: Die Neustämme von 1300, die Altstämme von 1600-1780. Regensburg 1913. S. 78.
  8. Cf. auch Schutzschrift/ für Die Teutsche Spracharbeit/ und Derselben Beflissene: zu Einer Zugabe/ den Gesprächspielen angefüget. durch den Spielenden [Georg Philipp Harsdörffer]. In: Frauenzimmer Gesprechspiele/ so bey Ehr- und Tugendliebenden Gesellschaften/ mit nutzlicher Ergetzlichkeit/ beliebet und geübet werden mögen/ Erster Theil ... [Von einem] Mitgenossen der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft [Harsdörffer]. Nürnberg 1644. S. 12 [der besonderen Paginierung].
  9. Cf. Borcherdt: Augustus Buchner l.c. [S. 37]. S. 84 f. u. S. 77 (Anm. 2).
  10. Tittmann l.c. [S. 89]. S. 228.
  11. Harsdörffer: Schutzschrift für die deutsche Spracharbeit l.c. [S. 230]. S. 14.
  12. Strich l.c. [S. 24]. S. 45 f.
  13. Leisewitz l.c. [S. 127]. S. 45 f. (Julius von Tarent II, 5).