[Ursprung der neueren Allegorie]
Mit einer sonderbaren Verschränkung von Natur und Geschichte tritt der allegorische Ausdruck selbst in die Welt. Es ist das Lebenswerk Karl Giehlows gewesen, über dessen Ursprung Licht zu verbreiten. Erst seit seiner monumentalen Untersuchung über »Die Hieroglyphenkunde des Humanismus in der Allegorie der Renaissance, besonders der Ehrenpforte Kaisers Maximilian I.« ist es möglich geworden, auch historisch zu beglaubigen, daß und wie die neuere, im sechzehnten Jahrhundert entspringende Allegorie von der mittelalterlichen sich abhebt. Gewiß — und das wird im Verlaufe dieser Studie als höchst bedeutungsvoll erscheinen — hängen beide genau und wesentlich zusammen. Doch nur wo der Zusammenhang sich als Konstante von der historischen Variablen abhebt, gibt er sich dem Gehalt nach zu erkennen, und solche Scheidung ist erst nach Giehlows Entdeckung möglich geworden. Unter den ältern Forschern scheinen nur Creuzer, Görres, insbesondere aber Herder einen Blick für die Rätsel dieser Ausdrucksform besessen zu haben. Gerade von den fraglichen Epochen bekennt der letzte: »Die Geschichte dieser Zeit und dieses Geschmacks liegt noch sehr im Dunkeln.«1 Seine eigene Vermutung: »Man ahmte den alten Mönchsgemählden nach; aber mit viel Verstande und großer Anschauung der Dinge, daher ich dies Zeitalter beinahe das emblematische nennen möchte«2 geht im Geschichtlichen fehl, spricht aber aus einer Ahnung vom Gehalt dieser Literatur mit der er den romantischen Mythologen überlegen ist. Creuzer bezieht sich auf ihn in Ausführungen über das neuere Emblem. »Auch späterhin blieb man noch dieser Liebe zum Allegorischen zugethan, ja mit dem sechszehnten Jahrhundert schien sie wieder neu aufzuleben ... In derselben Periode nahm die Allegorie unter den Deutschen, nach dem Ernste ihres Nationalcharakters, eine mehr ethische Richtung. Mit den Fortschritten der Reformation mußte das Symbolische als Ausdruck der Religionsgeheimnisse mehr und mehr verschwinden ... Die alte Liebe zum Anschaulichen äußerte sich ... in sinnbildlichen Darstellungen moralischer und politischer Art. Mußte die Allegorie doch oft jetzt selbst die neuerkannte Wahrheit versinnlichen. Ein großer Schriftsteller unserer Nation, der, nach seinem umfassenden Geiste, auch diese Äußerung deutscher Kraft nicht kindisch und unmündig findet, sondern würdig und betrachtungswerth, nimmt von der damaligen Allgemeinheit jener Darstellungsweise Veranlassung, jenes Zeitalter der Reformation das emblematische zu nennen, und giebt darüber beherzigenswerthe Winke.«3 Dem damaligen schwankenden Stande der Kenntnis gemäß, vermochte auch Creuzer nur die Wertung, nicht die Erkenntnis der Allegorie zu korrigieren. Erst Giehlows Werk, als solches historischer Art, eröffnet die Möglichkeit geschichtlich-philosophischer Durchdringung dieser Form. Den Anstoß ihres Werdens entdeckte er in den Bemühungen der humanistischen Gelehrten um die Entzifferung der Hieroglyphen. Sie entnahmen die Methode ihrer Versuche einem pseudepigraphischen Corpus, den zu Ende des zweiten, möglicherweise auch des vierten Jahrhunderts nach Christus verfaßten »Hieroglyphica« des Horapollon. Diese beschäftigen sich — das charakterisiert sie und bestimmte von Grund auf ihren Einfluß auf die Humanisten — nur mit den sogenannten symbolischen oder änigmatischen Hieroglyphen, bloßen Bildzeichen, wie sie außerhalb der kurrenten phonetischen im Rahmen der sakralen Unterweisung als letzte Stufe einer mystischen Naturphilosophie dem Hierogrammaten vorgeführt wurden. Mit den Reminiszenzen dieser Lektüre ging man an die Obelisken und ein Mißverständnis wurde Grundlage der reichen, unabsehbar verbreiteten Ausdrucksform. Denn von der allegorischen Auslegung ägyptischer Hieroglyphen, bei der an Stelle von historischen und kultischen Daten naturphilosophische, moralische und mystische Gemeinplätze sich einstellten, schritten die Literaten zum Ausbau dieser neuen Schriftart fort. Es entstanden die Ikonologien, welche nicht nur deren Phrasen ausbildeten, ganze Sätze »Wort für Wort durch besondere Bildzeichen«4 übersetzten, sondern nicht selten als Lexika auftraten.5 »Unter der Führung des Künstler-Gelehrten Alberti begannen so die Humanisten, statt mit Buchstaben mit Dingbildern (rebus) zu schreiben, entstand so auf Grund der änigmatischen Hieroglyphen das Wort ›Rebus‹ und füllten sich mit solchen Räthselschriften die Medaillen, Säulen, Ehrenpforten und alle möglichen Kunstgegenstände der Renaissance.«6 »Mit der griechischen Lehre von der Freiheit künstlerischer Anschauung entnahm die Renaissance dem Alterthum gleichzeitig das ägyptische Dogma des künstlerischen Zwanges. Beide Anschauungen mußten in einem durch geniale Künstler zunächst zurückgedrängten Kampfe liegen und die letztere siegen, sobald ein hieratischer Geist die Welt beherrschte.«7 Immer erkennbarer wird in den Hervorbringungen des reifen Barock der Abstand von den hundert Jahre früheren Anfängen der Emblematik und immer flüchtiger die Ähnlichkeit mit dem Symbol und dringlicher die hieratische Ostentation. So etwas wie natürliche Theologie der Schrift spielt denn schon in den »Libri de re aedificatoria decem« des Leon Battista Alberti seine Rolle. »Bei Gelegenheit einer Untersuchung über die an Grabmälern anzubringenden Titel, Zeichen und Sculpturen nimmt er Veranlassung, eine Parallele zwischen der Buchstabenschrift und den ägyptischen Zeichen zu ziehen. Er betont als Mangel der ersteren, daß sie, nur ihrer Zeit bekannt, später der Vergessenheit anheimfallen müsse ... Im Gegensatz dazu hebt er das System der Ägypter hervor, wie sie z.B. durch ein Auge Gott, den Geier die Natur, einen Kreis die Zeit, das Rind den Frieden kennzeichnen.«8 Gleichzeitig aber wandte die Spekulation sich einer weniger rationalistischen Apologie der Emblematik zu, die viel entschiedener das Hieratische der Form bekennt. In seinem Kommentar zu den plotinschen ›Enneaden‹ bemerkt Marsilius Ficinus über die Hieroglyphik, durch sie »hätten (die ägyptischen Priester) etwas dem göttlichen Denken Entsprechendes schaffen wollen, da ja die Gottheit das Wissen aller Dinge nicht als eine wechselnde Vorstellung sondern gleichsam als die einfache und feste Form der Sache selbst besitze. Die Hieroglyphen also ein Abbild der göttlichen Ideen! Als Beispiel dient ihm die für den Zeitbegriff gebrauchte Hieroglyphe der geflügelten, sich in das Schwanzende beißenden Schlange. Denn die Vielfältigkeit und Beweglichkeit der menschlichen Vorstellung von der Zeit, wie sie im schnellen Kreislauf den Anfang mit dem Ende verbinde, wie sie Klugheit lehre, Sachen bringe und nehme, diese ganze Gedankenreihe enthalte das bestimmte und feste Bild des Schlangenkreises.«9 Was anders als die theologische Überzeugung, daß die Hieroglyphen der Ägypter eine, jede Dunkelheit der Natur aufhellende, Erbweisheit enthalten, spricht aus Pierio Valerianos Satz: »Quippe cum hieroglyphice loqui nihil aliud sit, quam diuinarum humanarumque rerum naturam aperire.«10 Ebendiese »Hieroglyphica« bemerken in ihrer »Epistola nuncupatoria«: »Nec deerit occasio recte sentientibus, qui accommodate ad religionem nostram haec retulerint et exposuerint. Nec etiam arborum et herbarum consideratio nobis ociosa est, cum B. Paulus et ante eum Dauid ex rerum creatarum cognitione, Dei magnitudinem et dignitatem intellegi tradant. Quae cum ita sint, quis nostrum tarn torpescenti, ac terrenis faecibusque immerso erit animo, qui se non innumeris obstrictum a Deo benefieiis fateatur, cum se hominem creatum uideat, et omnia quae coelo, aëre, aqua, terraque continent, hominis causa generata esse«11. Nicht so der Teleologie der Aufklärung, der Menschenglück der oberste Naturzweck war, als einer gänzlich andern des Barock ist im »hominis causa« zu gedenken. Gewidmet weder irdischer noch sittlicher Glückseligkeit der Kreaturen, ist sie angelegt einzig auf ihre geheimnisvolle Unterweisung. Denn dem Barock gilt die Natur als zweckmäßig für den Ausdruck ihrer Bedeutung, für die emblematische Darstellung ihres Sinnes, die als allegorische unheilbar verschieden von seiner geschichtlichen Verwirklichung bleibt. Geschichte galt in den moralischen Exempeln und den Katastrophen nur als ein stoffliches Moment der Emblematik. Es siegt das starre Antlitz der bedeutenden Natur und ein für allemal soll die Geschichte verschlossen bleiben in dem Requisit. Christlich-didaktisch ist die mittelalterliche Allegorie — in mystisch-naturhistorischem Sinne geht das Barock auf die Antike zurück. Es ist die ägyptische, doch bald auch die griechische. Als Entdecker ihrer geheimen Erfindungsschätze galt Ludovico da Feltre, »von seiner unterirdisch-›grotesken‹ Entdeckertätigkeit ›il Morto‹ genannt. Auch an den antiken Maler, den man sich als Klassiker der Groteske aus der vielerörterten Stelle des Plinius über die Dekorationsmalerei heraushob, den ›Balkonmaler‹ Serapion, hat sich durch Vermittlung eines gleichnamigen Anachoreten schließlich in der Literatur die Personifikation des Unterirdisch-Phantastischen, Geheim-Gespenstischen geknüpft (in E. T. A. Hoffmanns ›Serapionsbrüdern‹). Denn schon damals scheint sich das Rätselhaft-Geheime der Wirkung beizugesellen dem Unterirdisch-Geheimen in der Herkunft der Groteske aus verschütteten Ruinen und Katakomben. Nicht von ›grotta‹ im buchstäblichen Sinne sei es herzuleiten, sondern von dem ›Versteckten‹ — Verhohlenen —, was die Höhle und Grotte ausdrückt ... Noch im 18. Jahrhundert gab es dafür ... den Ausdruck des ›Verkrochenen‹. Also das ›Änigmatische‹ daran wirkte von Anfang.«12 Nicht durchaus fern hiervon steht Winckelmann. Wie scharf er auch gegen die Stilprinzipien der barocken Allegorie sich wendet, seine Theorie bleibt früheren Autoren vielfach eng verwandt. Sehr klar sieht das Borinski am ›Versuch einer Allegorien »Gerade hier steht Winckelmann noch ganz im allgemeinen Verbande des Renaissanceglaubens an die ›sapientia veterum‹, an das geistige Band zwischen Urwahrheit und Kunst, zwischen Intellektualwissenschaft und Archäologie ... Er sucht in der echten, aus der Fülle der Homerischen Inspiration, ›eingeblasenen‹ ›Allegorie der Alten‹ das ›seelische‹ Allheilmittel für die ›Sterilität‹ der ewigen Wiederholung von Marter- und mythologischen Szenen in der Kunst der Neueren ... Nur diese Allegorie lehrt den Künstler ›erfinden‹: das, was ihn auf eine Höhe mit dem Dichter stellt.«13 So fällt das schlicht Erbauliche vielleicht noch radikaler als in dem Barock vom Allegorischen ab.
- [Johann Gottfried] Herder: Sämmtliche Werke. Hrsg. von Bernhard Suphan. 16. Bd. Berlin 1887. S. 16.1 (Zerstreute Blätter, 5. Sammlung).↩
- L.c. S. 230 (Zerstreute Blätter, 5. Sammlung).↩
- Creuzer l.c. [S. 179]). S. 227 f.↩
- Karl Giehlow: Die Hieroglyphenkunde des Humanismus in der Allegorie der Renaissance, besonders der Ehrenpforte Kaisers Maximilian I. Ein Versuch. Mit einem Nachwort von Arpad Weixlgärtner. Wien, Leipzig 1915. (Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten Keiserhauses. Bd 32, Heft 1.) S. 36.↩
- Cf. Iconologia overo descrittione delle imagini vniuersali, cauate dalle statue, & medaglie antiche, & da buonissimi auttori greci, & latini: Di Cesare Ripa Pervgino, Opera vtilissima, & necessaria à gli historici, & poeti, & à desiderosi d'intendere l'occulta sapienza de gli antichi. Con priuilegio, et licenza de'superiori. Milano 1602. [Im Erstdruck wird auf eine Ausg. Roma 1609 verwiesen.]↩
- Giehlow: Die Hieroglyphenkunde des Humanismus in der Allegorie der Renaissance l.c. [S. 186, Anm. 1]. S. 34.↩
- L.c. S. 12.↩
- L.c. S. 31.↩
- L.c. S. 23.↩
- Hieroglyphica sive de sacris aegy ptiorvm literis commentarii, Ioannis Pierii Valeriani Bolzanii Bellvensis ... Basileae 1556. Titelblatt.↩
- L.c. Bl. 4 [der besonderen Paginierung].↩
- Borinski: Die Antike in Poetik und Kunsttheorie. Bd 1, l.c. [S. 140]. S. 189.↩
- Borinski: Die Antike in Poetik und Kunsttheorie. Bd 2, l.c. [S. 115]. S. 208 f.↩