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[Die allegorische Person]

Ihr kraft beraubte Wort', ihr seid zerstückte Stück',
Und seichte schattenstreif, allein, entweicht zu rük;
Vermehlet mit Gemahl ihr werdet zu gelassen,
Wenn ein tief Sinnebild hilft das verborgne fassen.

Franz Julius von dem Knesebeck: Dreyständige Sinnbilder


Die philosophische Erkenntnis der Allegorie allein, die dialektische von ihrer Grenzform insbesondere, ist der Grund, auf dem das Bild des Trauerspiels mit lebendigen — und, wenn das ausgesprochen werden darf, mit schönen — Farben sich abhebt, der einzige, auf dem das Grau der Retuschen nicht haftet. In Chor und Zwischenspiel tritt allegorische Struktur am Trauerspiel so aufdringlich heraus, daß sie ganz nie den Betrachtern entgehen konnte. Aber eben darum blieben das die kritischen Einfallsstellen, durch die man in den Bau, der so vermessen als Griechentempel sich behaupten wollte, eindrang, um ihn zu zerstören. So Wackernagel: »Der Chor ist Erbe und Eigenthum der griechischen Bühne: er ist auch nur auf ihr die organische Folge historischer Prämissen. Bei uns war nirgend ein Anlaß auf den sich ein solcher hätte bilden können, und so haben denn auch die Versuche die von den deutschen Dramatikern des XVI. und XVII. Jahrhunderts ... sind gemacht worden ihn auch auf die deutsche Bühne überzuleiten, nur verunglücken können.«2 Unbezweifelbar ist die nationelle Bedingtheit des griechischen Chordramas, ebenso unbezweifelbar aber, daß eine gleiche sich in der scheinbaren Griechennachahmung des siebzehnten Jahrhunderts auswirkt. Der Chor im Barockdrama ist nichts Äußerliches. Er ist im gleichen Sinn sein Inneres, wie das gotische Schnitzwerk eines Altars als Inneres hinter den aufgeklappten, mit Historien bemalten Flügeln, sich zeigt. Im Chor, beziehungsweise in dem Zwischenspiel, ist die Allegorie nicht mehr bunt, geschichtsbezogen, sondern rein und streng. Am Schluß des IV. Akts der Lohensteinschen »Sophonisbe« treten Wollust und Tugend im Streit auf. Zuletzt wird die Wollust entlarvt und läßt von der Tugend sich sagen: »Wol! wir wolln bald des Engels Schönheit sehn! | Ich muß ihr den geborgten Rock ausziehen. | Kan sich ein Bettler in was ärgers nehn? | Wer wolte nicht für dieser Sclavin flihen? | Wirf aber auch den Bettler-Mantel weg. | Schaut/ ist ein Schwein besudelter zu schauen? | Dis ist ein Krebs- und dis ein Aussatz-Fleck. | Muß dir nicht selbst für Schwer- und Eyter grauen? | Der Wollust Kopf ist Schwan/ der Leib ein Schwein. | Laßt uns die Schminck im Antlitz auch vertilgen. | Hier fault das Fleisch/ dort frist die Lauß sich ein/ | So wandeln sich in Koth der Wollust Lilgen. | Noch nicht genung! zeuch auch die Lumpen aus/ | Was zeigt sich nun? Ein Aaß/ ein todt Gerippe. | Besih itzt auch der Wollust innres Hauß: | Daß man sie in die Schindergrube schippe!«3 Das ist das alte allegorische Motiv von der Frau Welt. Aus dergleichen markanten Stellen ist hin und wieder auch den Autoren des vorigen Jahrhunderts eine Vorstellung von dem gekommen, worum es hier geht. »In den Reyen« heißt es bei Conrad Müller, »wird der Druck der geschraubten Natur Lohensteins auf sein Sprachgenie geringer, weil das Schnörkelwerk seiner Worte, das sich seltsam an dem stilvollen Tempel der Tragödie ausnimmt, eigen mit dem Gaukelputz der Allegorie zusammenstimmt«4. Und wie im Wort manifestiert das Allegorische sich auch im Figuralen und im Szenischen. Das erreicht in den Zwischenspielen mit ihren personifizierten Eigenschaften, den fleischgewordenen Tugenden und Lastern, seinen Höhepunkt, ohne irgendwie auf sie beschränkt zu sein. Denn es erhellt, daß eine Typenreihe, wie König, Höfling, Narr sie bilden, von allegorischer Bedeutung ist. Hier gelten wieder die Divinationen des Novalis: »Eigentliche Schauszenen, nur die gehören aufs Theater. Allegorische Personen, die meisten sehn nur solche um sich. Kinder sind Hoffnungen, Mädchen sind Wünsche und Bitten.«5 Einsichtsvoll weist das auf Zusammenhänge eigentlicher Schaustellung mit Allegorie. Deren Figurinen waren freilich im Barock andere und — christlich und höfisch — bestimmtere als Novalis sie ausmalt. Wie selten und wie schwankend sich die Fabel auf deren eigentümliche Moralität bezieht, darin verraten die Figuren sich als allegorisch. Im »Leo Armenius« bleibt ganz dunkel, ob Balbus einen Schuldigen oder einen Schuldlosen trifft. Genug daß es der König ist. Auch läßt sich anders nicht verstehn, daß nahezu beliebige Personen in das lebende Bild einer allegorischen Apotheose einrücken können. Die »Tugend« preist den Masinissa,6 einen erbärmlichen Wicht. Nie hat das deutsche Trauerspiel vermocht, die Züge der Person so geheim in tausend Falten einer allegorischen Gewandfigur, wie Calderon es konnte, zu verteilen. Nicht besser hat ihm Shakespeares große Interpretation der allegorischen Gestalt in neuen einzigartigen Rollen glücken wollen. »Gewisse Figuren Shakespeare's haben den physiognomischen Zug der Moral-Play-Allegorie an sich; doch nur für das geübteste Auge erkennbar; sie gehen, hinsichtlich dieses Zuges, gleichsam in der allegorischen Tarnkappe, umher. Derartige Figuren sind Rosenkranz und Güldenstern.«7 Dem deutschen Trauerspiel blieb die Unscheinbarkeit des Allegorischen dank der Vergaffung in den Ernst versagt. Das Bürgerrecht in dem profanen Drama leiht Allegorischem allein die Komik, wo sie jedoch im Ernst den Einzug hält, da ist es unversehens der tödliche.



  1. Wackernagel l.c. [S. 85]. S. 11.
  2. Lohenstein: Afrikanische Trauerspiele l.c. [S. 63]. S. 331 (Sophonisbe IV, 563 ff.).
  3. Müller l.c. [S. 37]. S. 94.
  4. Novalis: Schriften. Bd 3, l.c. [S. 136]. S. 71.
  5. Cf. Lohenstein: Afrikanische Trauerspiele l.c. [S. 63]. S. 331 (Sophonisbe IV, 585 ff.).
  6. J[ulius] L[eopold] Klein: Geschichte des englischen Drama's. Bd 2. Leipzig 1876. (Geschichte des Drama's. 13.) S. 57.