Schöpfung
Schöpfung heißt im allgemeinen jede Hervorbringung durch irgend eine Person (z.B. die eines Kunstwerks), im besonderen diejenige der Welt durch Gott. Eine der ersten Fragen, welche der Mensch sich vorlegt, ist die: „Woher ist dies alles?“ Das Gesetz der Kausalität, nötigt ihn, für alle Dinge eine Ursache zu suchen. Die letzte Ursache findet der gläubige Mensch in Gott. Weder die griechische Kosmogonie, welche die Welt aus dem Chaos, noch die gnostische, welche sie durch den Demiurgen entstehn, noch die atomistische, welche sie überhaupt nicht entstanden sein läßt, befriedigt den Glauben. Derselbe Gedankengang, der zur Annahme Gottes (s. d.) führt, führt auch zur Anerkennung der göttlichen Schöpfung. Die Idee der Schöpfung „aus Nichts“ bezeichnet nicht das Nichts als das Material der Welt, sondern will nur ein Chaos als gleichberechtigten Faktor neben Gott und die absolute Grundlosigkeit der Welt verwerfen. Die religiöse Bedeutung dieser Lehre beruht in der ethischen Grundlage, die sie dem Gemüte gibt; denn, wenn sie gilt, weiß es alles nach Anfang und Fortgang von Gott bedingt. Für das Menschenherz ist es nicht gleichgültig, ob es aus dem Urschlamm oder aus dem Ozean der Substanz oder aus Gottes Hand hervorgegangen ist. Die ethische Weltbetrachtung des Glaubens kann Gottes als des Weltschöpfers nicht entraten, mag sie ihn auch Natur, Urgrund, Unbewußtes oder sonstwie nennen.
Ähnlich der biblischen Lehre von der Schöpfung lehrt Platon (427-347), die Welt sei nicht ewig, sondern geworden, weil sinnlich wahrnehmbar und körperlich. Gottes Güte hat sie zugleich mit der Zeit gebildet. Sie ist das Beste von allem Entstandenen; denn sie ward vom besten Werkmeister als Nachbild des höchsten Urbildes geschaffen. Die neben Gott existierende, an sich unbestimmte Materie (insofern ein Nichts, mê on) ist nur Nebenursache der Welt. Nach Aristoteles (384-322) setzt die Welt einen ersten Beweger voraus, den nous (Verstand) (s. d.); als gegliedertes Ganzes aber hat sie ewig bestanden und wird ewig sein. Sie hat ihr Prinzip in Gott, welcher nicht etwa bloß so da ist, wie die Ordnung im Heere als immanente Form, sondern als an und für sich seiende Substanz, gleich dem Feldherrn im Heere. Der organische Pantheismus der Stoiker, betrachtet die gestaltende Weltkraft als Gottheit, deren Existenz durch die Schönheit und Zweckmäßigkeit des Alls bewiesen wird. Sie durchdringt die Welt als allverbreiteter Hauch, als künstlerisch nach Zwecken bildendes Feuer, als Vernunft und Weltseele. Nach einer gewissen Zeit nimmt diese alles wieder in sich zurück durch einen Weltbrand. So vergehen und entstehen fortwährend neue Welten nach vernünftiger Notwendigkeit. Einen mechanischen Materialismus lehren die Atomisten (Demokritos und Leukippos) und Epikur. Ihr Prinzip heißt: Aus Nichts wird Nichts, und: Nichts vergeht in Nichtseiendes. Seit Ewigkeit sind die Atome und der leere Raum. Aus jenen, die sich nur durch Größe, Gestalt und Ordnung unterscheiden, entstehen alle Dinge, indem sie (nach Epikur) sich infolge zufälliger Abweichung von ihrer Fallinie zusammenballen. Die Welt wird weder durch Gott noch durch Zweckmäßigkeit geleitet. Plotinos (205 bis 270) endlich leitet die Welt aus dem Einen durch Emanation oder Ausstrahlung ab, welche, sich immer mehr von der Sonne entfernend, schwächer wird und Schlechteres hervorbringt. – In diesen Systemen treten nacheinander die verschiedenen Möglichkeiten, die Weltentstehung zu erklären, hervor: die Theorie der Schöpfung durch einen persönlichen oder durch einen unpersönlichen Gott; der organische Pantheismus, der atheistische Mechanismus und das Emanationssystem. In der neueren Philosophie werden diese Gedanken schrittweise vertreten durch Leibniz, Hegel, Spinoza, Holbach, Schelling. Vgl. Fr. Schultze, Philosophie der Naturwissenschaft 1881. L. Weis, Antimaterialiamus 1871.