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Schlaf

Schlaf ist der periodisch wiederkehrende Zustand, in welchem sich die den Tag über verbrauchte Nervenkraft des Organismus durch Muskelruhe und Wärmeverminderung reproduziert. Er ist mit einer Hemmung oder Herabminderung des Bewußtseins und der Tätigkeit verbunden und tritt regelmäßig auf Grund der Ermüdung durch die Tagesarbeit ein. Es gibt aber auch abnorme Veranlassungen des Schlafs: narkotische Stoffe, Druck auf das Gehirn, Verletzung desselben, Erschöpfung durch körperlichen Schmerz, Blutverlust, Hunger, Blutandrang und Steigerung des Verdauungsprozesses, Erhöhung oder Herabsetzung der Temperatur, zartes und hohes Alter. Der Schlaf stellt sich in vier Perioden dar: Einschlafen, tiefer Schlaf, leiser Schlummer und Erwachen. Mit sicherer Erkenntnis der Hauptmomente des Schlafs beschreibt diesen Goethe in dem Elfengesange (Faust II, 1, 1): „Erst senkt sein Haupt aufs kühle Polster nieder, dann badet ihn im Tau aus Lethes Flut; gelenk sind bald die krampferstarrten Glieder, wenn er gestärkt dem Tag engegenruht; vollbringt der Elfen schönste Pflicht, gebt ihn zurück dem heil’gen Licht!“ Das Einschlafen erfolgt entweder unwillkürlich oder infolge willkürlich erzeugter Langeweile. Nachdem durch die Schläfrigkeit die Seele von der Außenwelt mehr und mehr abgelöst worden ist, jagen zahllose Schlummerbilder am geistigen Auge auf einem von innen projizierten Lichtnebel vorüber; auch Nachklänge von Gehörempfindungen kommen vor. Im Tiefschlafe ist wegen der Einstellung der Hirntätigkeit das Bewußtsein und die willkürliche Bewegung aufgehoben, weshalb er auch am gesundesten ist. Aber es gibt Zwischenzustände zwischen Tiefschlaf und Wachen, und in diesen hört nicht bloß nicht das vegetative Leben und die unwillkürliche (automatische) Bewegung, sondern auch nicht die Empfindung und auch nicht eine Art von Vorstellen auf, wie der Traum beweist. Der leisere Schlaf stellt sich meistens erst gegen Morgen ein; die Außenwelt beeinflußt allmählich den Schläfer und regt allerlei Vorstellungen in ihm an. Endlich tritt das Erwachen ein, und zwar stets scheinbar plötzlich, weil man sich eben unvermutet bei hellem Bewußtsein vorfindet.

Über das Wesen des Schlafes standen sich in der Philosophie zwei Ansichten bis vor kurzem schroff gegenüber: die eine sah in ihm eine Potenzierung, die andere eine Herabsetzung des Seelenlebens. G. H. v. Schubert (1780-1860) ließ den Leib im Schlafe der äußeren Körperwelt anheimfallen, die Seele aber den jenseitigen Regionen zueilen und die Lichter eines fernen Sternenhimmels schauen. Krause (1781-1832) sah im Schlafe das reinste und feinste Seelenleben des Geistes. J. H. Fichte (1796-1879) meinte, die Seele erhebe sich leib- und hirnfrei zu einer Art intellektueller Anschauung über die Gegensätze des Sinnesbewußtseins, ja Fortlage behauptete, nur insofern wir schlafen, leben wir; wenn wir aufwachen, fangen wir an zu sterben. Schopenhauer (1788-1860) endlich hielt mit Bardach (1776-1847) den Schlaf für den ursprünglichen Zustand, dagegen Bewußtsein, Wahrnehmen usw. für den sekundären. Er legt ihm einen positiven Charakter bei; denn es finde in ihm die Erneuerung des Organismus, die Nutrition des Gehirns statt; zwischen Schlafen und Wachen sei nicht nur ein Unterschied des Grades, sondern eine Grenze; bei beängstigenden Traumbildern versuchten wir vergeblich, uns ihrer zu erwehren; auch sei eine gewisse Kraft zum Schlafen erforderlich, und Übermüdung wie zu große Schwäche ließen uns nicht zum Schlafe kommen (capere somnum) „W. a. W. u. V.“ II, 273. – Andrerseits sieht jede auf vernünftige Beobachtung und physiologisches Studium begründete Ansicht vom Schlafe, wie sie z.B. Pflüger und Wundt gegeben haben, in ihm eine Herabminderung des Seelenzustandes, da äußere Reize von mäßiger Stärke in ihm nicht wahrgenommen werden, auch die Reproduktionen verschwinden und völlige Bewußtlosigkeit das Normale bei ihm ist. Auch das Traumleben, in dem eine Perzeption, Assoziation und Apperzeption sowie eine Reproduktion und wohl auch Antizipation im gewissen, aber immer beschränkten Umfange stattfindet, gibt, da sein Inhalt aus Illusionen und Halluzinationen besteht, dem Schlafe nicht die Bedeutung des gesteigerten, sondern des herabgesetzten Bewußtseinszustandes. Namentlich sind die äußeren Willenstätigkeiten gewöhnlich im Traume ganz gehemmt und nur sensorische Funktionen vorhanden (vgl. Schlafwandeln). Das Bedürfnis nach Schlaf steht in geradem Verhältnis zur Intensität des Gehirnlebens, also zur Klarheit des Bewußtseins. Die Menschen bedürfen des Schlafs desto mehr, je verwickelter nach Quantität und Qualität ihre Arbeit und je tätiger ihr Gehirn ist. Pflüger betrachtet die durch den intramolekularen Sauerstoff bei seiner Verbindung herbeigeführten Wärmeschwingungen als die Ursache des Wachens, den Schlaf denkt er sich entstanden aus dem Verbrauch eines Teils des Sauerstoffs, so daß während des Schlafes eine allmähliche Aufnahme von neuem Sauerstoff erfolgt. Wundt wirft dieser Theorie vor, daß sie zwar die entfernteren Bedingungen des Schlafes erklärt, aber nicht die unmittelbaren Ursachen, und verlangt einen Nachweis, wie die Zentralteile sukzessiv an der Entstehung des Schlafes beteiligt seien. – Vgl. H. Spitta, d. Schlaf- und Traumzustände. 1883. Radestock, Schlaf und Traum. 1879. Mosso, über Ermüdung. Aus dem Italienischen. Lpz. 1893. Wundt, Grundz. d. phys. Psychol. II, S. 437 ff., Grundriß d. Psych. § 18.