Schön
Schön heißt im weiteren Sinne dasjenige, was unser geistiges Wohlgefallen erregt, ohne unsere Begierden zu reizen; es gefällt durch die Einheit in der Mannigfaltigkeit, die Harmonie seiner Teile, durch seine scheinbare Zweckmäßigkeit, ohne daß es selbst für anderes direkt als Mittel diente. In ihm erscheint den höheren Sinnen erfaßbar das eigentümliche Innerste Wesen, der Dinge, befreit von den störenden Zufälligkeiten. Beim Schönen ist also die sinnliche Form durchaus von der geistigen Idee bestimmt. Schon im engeren Sinne heißt die völlige Durchdringung des Geistigen und Sinnlichen; im Komischen dagegen wird das Geistige, vom Sinnlichen überragt, im Erhabenen das Sinnliche vom Geistigen; das Häßliche ist die rohe, geistverlassene Sinnlichkeit. Alles Schöne erbebt den Menschen über sein persönliches Interesse zur Objektivität der Idee; denn diese tritt ihm im Schönen der Natur und der Kunst derartig entgegen, daß er zum selbst und willenlosen Betrachter wird. Der Sinn für das Schöne heißt Geschmack. Der Geschmack findet das Schöne zunächst in der Natur vor. Das Schöne der Natur (s. Naturschönheit), ist die erste und vorbildliche Stufe der Schönheit; die Kunst, die Fähigkeit, das Schöne zu schaffen, sucht diese in bewußter Tätigkeit zu überbieten. Mit der Wissenschaft hat die Kunst gemein die Darstellung des Wesens der Dinge, der Wahrheit, nur daß die Wissenschaft diese begrifflich, die Kunst sie anschaulich darstellt. Auch idealisiert die Kunst das Natürliche, d.h. sie faßt das in der Wirklichkeit Zerstreute zusammen und legt andrerseits das Verworrene übersichtlich auseinander, erhöht, und veredelt sein Wesen. Die Wissenschaft vom Wesen des Schönen heißt Ästhetik (s. d.). – Da aber; die Idee des Schönen bei den verschiedenen Völkern und in den verschiedenen Zeiten gewechselt hat, so wechselt auch die Erscheinung des Schönen in den verschiedenen Zeiten. Deshalb hat die Ästhetik (s. d.) auch die Kunstgeschichte zu berücksichtigen und ihre eigene Methode empirisch zu gestalten, was sie nicht immer getan hat.
Platon (427-347), der nur Ansätze zu einer Ästhetik geschaffen hat, trennt das Schöne nicht vom Guten und verlegt es in die Idee; Aristoteles (384-322) setzt die Schönheit in die Ordnung, Symmetrie, Begrenztheit, Einheit und Ganzheit, also in die Form des schönen Gegenstandes. Nach Plotinos (205-270) besteht sie nicht in der bloßen Form, sondern in der Herrschaft des Höheren über das Niedere, der Ideen über den Stoff, der Seele über den Leib, der Vernunft und des Guten über die Seele. Shaftesbury (1671-1713) identifizierte, an Platon anknüpfend, das Gute und Schöne und sah in Gott das Urschöne. Leibniz (1646-1716) sieht in der Harmonie der Gegensätze, in der Einheit innerhalb der Vielheit die Schönheit; Baumgarten (1714-1762), der Begründer der Ästhetik – (s. d.) in Deutschland, verlegt die „sinnlich erkannte Vollkommenheit“ oder die Schönheit in die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen in der Erscheinung, und verlangt für alle Schönheit das Vorbild der Natur. Wolf (1679 bis 1754) charakterisiert die Schönheit als diejenige Vollkommenheit, die in uns Wohlgefallen hervorruft, Sulzer (1720-1779) definiert sie als Vollkommenheit der äußeren Form oder Gestalt. Lessing (1729-1781) forscht nach dem Wesen einzelner Kunstformen, der Fabel, des Epigramms, des Epos, des Dramas und schied zwischen bildender Kunst und Poesie. Kant (1724-1804) nennt schön den Gegenstand eines allgemeinen notwendigen interesselosen Wohlgefallens, welches durch das subjektiv Zweckmäßige hervorgerufen ist. Schiller (1759-1805) definiert das Schöne als Freiheit in der Erscheinung und findet es da, wo Vernunft und Sinnlichkeit übereinstimmen. Nach Schelling (1775 -1854) ist das Kunstwerk die Darstellung des Ewigen oder Unendlichen im Endlichen, die Harmonie des Bewußten und Bewußtlosen, des Freien und Notwendigen, von Natur und Geist, Realem und Idealem. Hegel (1770-1831) definiert es als das Absolute in sinnlicher Existenz, die Wirklichkeit der Idee in der Form begrenzter Erscheinung. Auf dem Verhältnis der Idee zum Stoffe – dem Überwiegen der Erscheinung – dem Gleichgewicht von Idee und Erscheinung – dem Überwiegen der Idee – beruht der Unterschied der symbolischen, klassischen und romantischen Kunst. Nach Schopenhauer (1788-1860) ist schön der deutliche Ausdruck bedeutsamer Ideen. Herbart (1776-1841) endlich nennt schön, im Unterschied vom Begehrten und Angenehmen, das, was an den Objekten unwillkürlich gefällt; die Materie ist gleichgültig, nur auf die Form, das Verhältnisse der einfachen Elemente kommt es an. Er kehrt damit, wie fast in seiner ganzen Philosophie, zu Leibniz zurück, dessen ästhetischen Formalismus er teilt. In der Neuzeit strebt man nach einer Ästhetik auf empirischer Grundlage, die von theoretischen Vorurteilen befreit ist, ohne daß eine solche und ein darauf gegründeter Begriff des Schönen bereits erreicht sei. Vgl. C. Lemcke, populäre Ästhetik. – Vgl. Kunst, Ästhetik, gut, Geschmack.