Schluß
Schluß heißt derjenige Denkprozeß, durch welchen ein Urteil aus einem oder mehreren anderen abgeleitet wird. Die Ableitung eines Urteils aus einem anderen heißt unmittelbarer Schluß; die Ableitung eines Urteils aus zwei oder mehreren Urteilen heißt mittelbarer Schluß. Man schließt entweder vom Allgemeinen auf das Besondere oder umgekehrt vom Besonderen auf das Allgemeine. Die erste Art des mittelbaren Schlusses heißt Syllogismus (ratiocinatio), die zweite Induktion. Das Urteilen besteht im Vergleichen und in der Verbindung zweier Begriffe, das syllogigtische Schließen aus demjenigen zweier oder mehrerer Urteile. Sage ich mit dem trivialsten Beispiel der Schullogik: „Alle Menschen sind sterblich, Cajus ist ein Mensch, folglich ist Cajus sterblich“ – so habe ich aus zwei Urteilen ein drittes und das Besondere aus dem Allgemeinen abgeleitet. Subsumiert schon das einzelne Urteil einen Begriff unter einen anderen, umfassenderen, so führt also der Schluß die Subsumtion weiter fort. Es läßt sich die Voraussetzung, daß, was vom umschließenden Begriff gilt, auch vom umschlossenen gelte, so fortsetzen, daß das, was vom umschlossenen Begriff gilt, auch von dem Begriffe gelte, den dieser umschließt, und so fort. Sind also alle Menschen sterblich, so gilt es auch von Cajus, wenn er unter die Menschen zu rechnen ist.
Der Syllogismus heißt einfach, wenn er aus zwei Urteilen, welche zwei verschiedene und einen gemeinsamen Begriff haben, ein drittes Urteil ableitet, zusammengesetzt, wenn mehr als drei Begriffe darin vorkommen und mehr als zwei Urteile zur Begründung des Schlußsatzes dienen. Der gemeinsame Bestandteil im einfachen Syllogismus heißt Mittelbegriff (terminus medius), er kommt in den beiden Urteilen. aus denen ein drittes abgeleitet wird, d.h. den Vordersätzen (Prämissen), aber nicht im Schlußsatz (conclusio) vor. Von den beiden Prämissen heißt Obersatz (propositio maior) diejenige, welche das Prädikat, Untersatz (propositio minor) diejenige, welche das Subjekt des Schlußsatzes enthält. Alle diese Bestandteile nennt man die Elemente des Syllogismus. Seine Relation richtet sich nach derjenigen der Prämissen, d.h. er ist kategorisch, hypothetisch, disjunktiv, je nach der Relation jener. Sind sie von verschiedener Form, so ist der Obersatz maßgebend.
Die Möglichkeit des Schlusses als Erkenntnisform beruht auf der Voraussetzung einer realen Gesetzmäßigkeit gemäß dem Satze vom Grunde. Die vollkommenste Erkenntnis entspringt aus dem Zusammenfallen des Real- und Erkenntnisgrundes, folglich ist auch der Schluß am vollkommensten, in dem der Mittelbegriff jene beiden enthält. Durch den Schluß erfährt der Schließende nicht etwa schlechthin Neues, ihm vorher ganz Unbekanntes, sondern etwas, was er implizite schon wußte, was er nun aber erst explizite kennen lernt. Wir bringen uns also durch den Schluß nur zum Bewußtsein, was schon latent in den Prämissen lag. Diese „Entzifferung unserer eigenen Noten“, wie Mill sagt, ist aber doch nur die eine Seite der Sache; die andere ist die wirkliche Förderung unserer Erkenntnis durch den Syllogismus, sobald unser Denken auf dem Grunde einer erkannten realen Gesetzmäßigkeit ruht.
Darum forderte Aristoteles, daß der Mittelbegriff (M) die reale Ursache ausdrücke. Die Skeptiker hingegen drehten die Sache um und meinten, daß die Wahrheit der Prämissen aus derjenigen des Schlußsatzes folge, nicht umgekehrt! Das Mittelalter hat den technischen Apparat der Aristotelischen Syllogistik eifrig ausgearbeitet. (Siehe Schlußfiguren und Schlußmodi.) Bacon (1561-1626) zieht ihr die Induktion vor, Cartesius (1596-1650) verwirft sie ganz, ebenso Locke (1632-1704), während Leibniz (1646-1716) im Syllogismus ein bedeutendes Hilfsmittel der Forschung erkennt. Kant (1724-1804) dagegen hielt nur die erste Schlußfigur für natürlich und betrachtete sie bloß als ein Mittel, das, was wir schon wüßten, durch Analyse klar zu machen. Ähnlich lehren Herbart (1776-1804), Fries (1773-1843) und Beneke (1798-1854), während Hegel (1770-1831) und Schopenhauer (1788-1860) im Schlusse die notwendige Form alles Vernünftigen, das eigentliche Geschäft der Vernunft sehen. Der Wert desselben beruht vor allem in dem Ausbau der Subsumtion, in der Herstellung der richtigen Verbindungen zwischen Gattungs- und Artbegriffen. Die Klassifikation der Wissenschaft beruht auf durchgeführter Syllogistik. Das Material für die Prämissen hat die Induktion (s. d.) herbeizuschaffen, aber ihre Ordnung erfolgt durch den Syllogismus.
Allgemeine Regeln für das Schließen sind: 1. Im einfachen regelmäßigen kategorischen Schlüsse dürfen nur drei Begriffe vorhanden sein. 2. Aus rein verneinenden Prämissen folgt nichts. 3. Aus rein partikulären Prämissen folgt nichts. 4. Aus einem partikulären Obersatz und einem verneinenden Untersatz folgt nichts. 5. Die Quantität (s. d.) des Schlußsatzes richtet sich nach dem Untersatz, hingegen 6. seine Qualität (s. d.) nach dem Obersatze. 7. Ist eine Prämisse problematisch, so ist es auch der Schlußsatz.
Eingeteilt werden die Schlüsse gewöhnlich nach der Relation des Obersatzes in kategorische (s. d.), hypothetische und disjunktive; andere unterscheiden sie nach der Form in vollständige und abgekürzte oder nach dem Inhalt in einfache und zusammengesetzte.
Die hypothetische Schlußform richtet sich nach dem Grundsatz: mit dem Bedingenden (Grund) ist das Bedingte (Folge) gesetzt, und mit dem Bedingten (Folge) ist das Bedingende (Grund) aufgehoben. Ihre Hauptform, der gemischte hypothetische Schluß, dessen Obersatz ein hypothetisches und dessen Untersatz ein kategorisches Urteil ist, zerfällt in 2 Modi. Der modus ponens schließt aus der Setzung der Bedingung des Obersatzes im Untersatz auf die Setzung des Bedingten des Obersatzes im Schlußsatz. (Wenn A ist, so ist B; nun ist A – also ist B.) Der modus tollens schließt aus der Aufhebung des Bedingten des Obersatzes im Untersatz auf die Aufhebung der Bedingung des Obersatzes im Schlußsatz (wenn A ist, so ist B; nun ist B nicht, also ist A nicht). – Bei der disjunktiven Schlußform, bei der der Obersatz ein disjunktives Urteil ist, gilt die Regel, daß von je zwei einander vollkommen ausschließenden Gegensätzen jeder durch die Setzung des anderen ausgeschlossen und durch die Aufhebung des anderen gesetzt ist. Auch hier gibt es 2 Modi: Der modus ponendo tollens schließt aus der Setzung des einen Gegensatzes im Unter- auf die Aufhebung des anderen im Schlußsatz (A ist entweder B oder C; nun ist es B – also ist es nicht C). Der modus tollende ponens schließt von der Aufhebung des einen im Unter- auf die Setzung des anderen im Schlußsatz (A ist entweder B oder C; nun ist es nicht B – also ist es C). – Die Induktion (s. d.) ist der Schluß vom Besonderen auf das Allgemeine. Ihre Grundform ist: A, B, C, D sind P; A, B, C, D sind S; also sind alle S: P. (Siehe Induktion.)